Konfessionelle Netzwerke der Deutschen in Russland 1922–1941

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Dokument Nr. 41

4. Die große Hungersnot 1932/33

Segreteria di Stato, Sezione per i Rapporti con gli Stati, Archivio Storico (S.RR.SS.),
Congregazione degli Affari Ecclesiastici Straordinari (AA.EE.SS.),
Pro Russia (1924-1935),
Pos. Scat. 28,
Fasc. 185,
Fol. 30r-36r

Datum: August 1933
Verfasser: Päpstliche Kommission Pro Russia
Inhalt: Bericht über die Anzahl und Lage katholischer Gemeinden und Geistlicher, über die Kirche selbst und über das religiöse Leben in Sowjetrussland. Anbei zwei Listen deportierter Geistlicher und die Orte der Verschickung.
Abschrift zu VI W 7836
 
Streng vertraulich.
 
Die Lage der römisch-katholischen Kirche im Mittleren Wolgagebiet, insbesondere in der Autonomen Republik der Wolgadeutschen. (August 1933).
 
1. Seelenzahl. Auch aus den katholischen Gemeinden, die zu der Autonomen Republik der Wolgadeutschen gehören, waren unter dem Druck der schlechten Lebensverhältnisse in den Jahren 1930-1932 grosse Teile der Bevölkerung abgewandert, um in den Städten Arbeit und Brot zu finden. Die strengen Massnahmen gegen die Landflucht führten im Jahre 1932 etwa 60 000 wieder zurück. Inzwischen haben aber trotz aller Erschwerungen für die Abwanderung wiederum etwa 30 – 35.000 katholische Einwohner ihre Heimat verlassen. Jedoch besteht ein grosser Unterschied gegen früher. Während die Abwanderer in früheren Jahren Arbeit suchten und fanden, leben sie jetzt grösstenteils vom Betteln. Dieses Leben wirkt demoralisierend. Die Abwanderer werden oft zu Vagabunden, sie verlernen Zucht und Ordnung und kommen körperlich und moralisch herunter.
Die Zahl der in der Autonomen Republik der Wolgadeutschen noch ansässigen Katholiken kann auf 20-25.000 geschätzt werden. Ihr Leben ist sehr schwer. Ueberall herrscht Hunger. Die Ernte ist zwar grossenteils nicht schlecht, jedoch fehlt es an Arbeitskräften, um sie einzubringen. Die Felder werden streng bewacht von Miliz mit scharf geladenen Gewehren. Trotz dieser Bewachung und trotz der drakonischen Strafen, die auf Diebstahl stehen, wird viel gestohlen. Die Aehren werden auf dem Felde mit Scheren und Messern abgeschnitten – die Diebe heissen deshalb in Volksmund „Friseure“ – und an Ort und Stelle verzehrt.
Der Hunger hat viele Opfer gefordert, die Abwanderung hat die Dörfer entvölkert. So sind z. B. aus dem Dorf Louis, das früher 6000 Katholiken zählte, über 4000 weggezogen. Im Laufe der letzten Monate sind 270 Menschen verhungert, ausserdem 300 weitere an Entkräftung gestorben. Das Dorf hat heute nur noch etwa 1.000 Katholiken.
In dem Dorf Wittmann, das 3 – 4.000 katholische Seelen zählte, sind 312 Personen an Hunger gestorben. Auch jetzt nach der Ernte sterben täglich noch etwa 5-6 Personen.
 
2. Katholische Geistliche. Wie schon im letzten Jahre sind in dem Gebiet 4 deutschstämmige katholische Geistliche tätig, nämlich:
Pater Bader Emmanuel in Louis
Pater Hermann Johannes in Saratow
Pater Dietrich Raphael in Preuss
Pater Brungart Michael in Hildmann
(Es handelt sich hierbei nicht um Ordensgeistliche. Die deutschstämmigen katholischen Geistlichen in Russland wurden in Analogie zu dem russischen „Batjuschka“ und dem französischen „Père“ immer mit „Pater“ bezeichnet, auch wenn sie keinem Orden angehörten.
Ausserdem hält sich zur Zeit in Saratow der bisher nach Turinsk verschickte Pater Staub Alexander, früher in Seewald, auf. Er ist auf der Suche nach einer neuen Gemeinde, in der er die Möglichkeit zur Arbeit hat.
Pater Bader und Pater Dietrich sind Ausgangs der 30, Pater Hermann ist Ausgangs 40, Pater Brungart Ausgangs 50, Pater Staub 60 Jahre.
Der 80jährige Pater Schneider Johannes lebt noch in Leichtling, Kanton Kamenka, kann aber keine geistliche Arbeit leisten.
Der 79jährige Pater Bach in Neu Obermonjou ist im März 1933 gestorben.
Der bisher verschickte Pater Schönheiter Klemens, über 60 Jahre alt, hält sich zur Zeit in Hildmann, Kanton Kamenka, auf.
In Saratow befindet sich auch der griechisch-unierte Priester Anissimoff und ein polnischer Geistlicher namens Slowitzki, der vor nicht langer Zeit aus der Verbannung auf den Solowetzki-Inseln zurückgekehrt ist. Slowitzki hält in der deutschen Kathedrale Gottesdienst für die Katholiken polnischer Zunge. Von Anissimoff wissen die Sowjetbehörden nicht mit Sicherheit, dass er Priester ist. Er wurde mehrmals festgenommen und verhört, aber wieder freigelassen. Zur Zeit kann er das Messopfer nur im Geheimen darbringen, da er stark überwacht wird.
Ein armenisch-unierter Priester namens Oganessianz, der vor kurzem aus dem Süden kam, ist an Entkräftung gestorben.
Die nach den Solowetzki-Inseln verschickten katholischen Geistlichen aus dem Wolgagebiet sind in der anliegenden Liste 1 aufgeführt, die verhafteten oder nach anderen Gegenden als den Solowetzki-Inseln verschickten Priester in Liste 2. Die Adressen sind angegeben.
Weiter nach Süden, in der Südukraine und im Kaukasus, sind noch etwa 20 deutschstämmige katholische Geistliche der Diözese Tiraspol tätig.
An der Lage der Geistlichen hat sich nicht viel geändert. Die Gemeinden sind nicht imstande, den notwendigen Unterhalt aufzubringen. Die Geistlichen lebten während der letzten Jahre fast ausschliesslich von den Unterstützungen, die ihnen durch Vermittlung des Internationalen Roten Kreuzes in Moskau zugingen. Es wird mit grösstem Nachdruck versichert, dass ohne diese monatliche Unterstützung die Geistlichen verhungern müssten. Auch die verschickten Geistlichen erhalten regelmässig Unterstützungen. Es liegen zuverlässige Nachrichten vor, dass die Unterstützungen tatsächlich ausgehändigt werden und dass sie für die Verschickten, insbesondere für diejenigen, die nicht in einem Lager sind, sondern selbst für ihren Unterhalt sorgen müssen, die einzige Hilfe und tatsächlich die Rettung vor dem Hungertod bedeuten.
In der Ausübung des geistlichen Amtes sind die Priester immer noch den grössten Beschränkungen unterworfen. Ein Geistlicher darf eine katholische Gemeinde nur nach ausdrücklicher staatlicher Genehmigung verwalten. Auf die bestehenden Arbeitsbestimmungen und Arbeitsbedingungen muss grösste Rücksicht genommen werden. In den kollektivisierten Dörfern muss der Gottesdienst sehr früh gelegt werden, damit die Teilnehmer rechtzeitig zu dem festgesetzten Zeitpunkt ihre Arbeit beginnen können.
Eine Verbindung mit der kirchlichen Hierarchie besteht nicht. Bischof  F r i s o n  (deutschstämmig), apostolischer Administrator der Krim, der, soviel bekannt ist, Verwalter der Diözese Tiraspol ist, lebt in Simferopol in der Krim in grösster Zurückgezogenheit. Er darf die Stadt nicht verlassen. Weisungen kann er nicht geben. Die Geistlichen in der deutschen Wolgarepublik stehen miteinander in loser Verbindung und beraten sich gegenseitig. Der betagte Prälat Krushinsky (deutschstämmig), früher in Karlsruhe, jetzt Speyer im Bezirk Odessa wohnhaft, steht seinen geistlichen Mitbrüdern im Wolgagebiet mit seinem erprobten Rat zur Seite. Aber auch er will keine Jurisdiktion ausüben und formell kein Amt übernehmen. Diese Haltung ist auch durchaus zweckentsprechend, da die Sowjetbehörden mit grösster Aufmerksamkeit darauf achten, ob sich in irgendeiner Form die Hierarchie wieder bildet. Sie würden wahrscheinlich jeden Ansatz dazu bekämpfen.
 
3. Die Kirchen. Die katholische Kirche in Saratow, die eigentliche Kathedralkirche des (deutschen) Bistums Tiraspol, die vorübergehend wegen nicht bezahlter Steuerrückstände geschlossen war, ist dank der im Frühjahr dieses Jahres durch das Internationale Rote Kreuz übermittelten Unterstützung vorläufig gerettet worden. Die oberen Sowjetbehörden haben die Steuerauflage überprüft und bestimmt, dass nur soviel zu erheben ist, wie die Kirche wirklich zahlen kann, dass aber die Rückstände zum grossen Teil abgedeckt werden müssen. Mit Hilfe der Unterstützung sind die Rückstände jetzt abgedeckt, sodass fürs erste die Kirche gesichert ist.
Der Geistliche der Kirche bemüht sich um einen Organisten, um den sonntäglichen Gottesdienst festlicher gestalten zu können, zumal die Kirche in Saratow ein vielbesuchter religiöser Mittelpunkt ist. Es wären monatlich etwa 200 Rbl. erforderlich, die jedoch die Kirche aus eigenen Mitteln nicht aufbringen kann.
Im deutschsprechenden Wolgagebiet sind 16 katholische Kirchen in neuerer Zeit wegen Steuerrückstände geschlossen worden. Sie sind der religiösen Benutzung nicht ganz entzogen und könnten jederzeit wieder in Gebrauch genommen werden, sobald die Steuern bezahlt sind.
Es handelt sich bei den einzelnen Kirchen um Beträge von 500-2000 Rbl.
 
4. Das religiöse Leben ist nach wie vor gut. Der Kirchenbesuch ist rege, ebenso die Teilnahme an den Sakramenten. Die Jugend wird im Elternhause religiös unterrichtet. Die Not der Zeit hat das Volk wieder beten gelehrt. Auch gegenüber den Parteimitgliedern hält man mit seiner religiösen Ueberzeugung nicht mehr zurück. Die Bauern bekennen sich offen zur Religion. Sie verlangen, dass man ihnen Gottesdienst hält. Wenn am Abend die Betglocke läutet, nehmen sie die Mütze ab und beten laut, auch wenn, oder gerade wenn Parteimitglieder dabei sind. Eine so demonstrative Frömmigkeit war früher dieser Bevölkerung nicht eigen.
Eine Gefahr für das religiöse Leben bieten die auf Betteln Herumstreunenden. Sie verlieren das religiöse Empfinden und kommen abgerissen und physisch und seelisch zerrüttet in die Heimatdörfer zurück.
 
 
Segreteria di Stato, Sezione per i Rapporti con gli Stati, Archivio Storico (S.RR.SS.),
Congregazione degli Affari Ecclesiastici Straordinari (AA.EE.SS.),
Pro Russia (1924-1935),
Pos. Scat. 28,
Fasc. 185,
Fol. 37r
 
 
Anlage 1
 
L i s t e
der auf die Solowetzki-Inseln verschickten katholischen Geistlichen aus dem Mittleren Wolgagebiet.
(Adresse: Solowki, Popow-Ostrow, I. Otdelenije)
(August 1933)
    1. Baumtrog Augustin, früher in Pokrowsk
    2. Kappes Aloysius, früher in Kamyschin
    3. Bellendir Adam, früher in Schuk
    4. Rauch Franz, früher in Rothamel
    5. Weigel Peter, früher in Marienthal
    6. Dornhof Alexander, früher in Rohleder
    7. Schönberger Andreas, früher in Seelman
    8. Riedel, Peter, früher in Schönchen
    9. Fix Martin, früher in Kohler.
    10. Paul Josef, früher in Neukolonie
Schulz Florian, früher in Wittmann, auch Soloturn genannt, der ebenfalls auf den Solowetzki-Inseln war, ist schwer erkrankt und befindet sich zur Zeit im Krankenhaus.
Adresse: Sewkrai, Stadt Kargopol, Krestjanskaja Uliza 34.
 
 
Segreteria di Stato, Sezione per i Rapporti con gli Stati, Archivio Storico (S.RR.SS.),
Congregazione degli Affari Ecclesiastici Straordinari (AA.EE.SS.),
Pro Russia (1924-1935),
Pos. Scat. 28,
Fasc. 185,
Fol. 38r
 
Anlage 2
 
L i s t e
Der verhafteten oder nach anderen Gegenden als den Solowetzki-Inseln verschickten katholischen Geistlichen aus dem Wolga-Gebiet.
(August 1933)
 
    1. Zimmermann Johannes, früher in Brabanta   Adresse: Samara
    2. Sill [Still] Michael, früher Urbach    Adresse: Kalinina Nr. 28
    3. Falkenstein Johannes, früher in Josefstal, jetzt Nowosibirsk, Krankenhaus G.P.U.Slak
    4. Schönfeld Jakob, Nowosibirsk
    5. Gareis Adam, früher in Pfeiffer    Adresse: Tambov
    6. Beilmann Johannes, früher in Seelmann    Uliza Darochowskaja 54
    7. Glassner Robert, früher in Dehler, Baschkirenrepublik, Busdjakski Rayon, Selo Starij Busdjak
    8. Desch Adam, 52 Jahre alt, in Astrachan, ist seit 2 Monaten verhaftet.
Ueber die Geistlichen  B e y e r ,  E b e r l e  Alexander,  O c h s  Aloysius ist nichts weiteres bekannt geworden.
Beilmann Josef, früher im Butyrki-Gefängnis in Moskau, wurde nach Murmansk verschickt und ist in Kem gestorben.

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Dokument Nr. 42

4. Die große Hungersnot 1932/33

Segreteria di Stato, Sezione per i Rapporti con gli Stati, Archivio Storico (S.RR.SS.),
Congregazione degli Affari Ecclesiastici Straordinari (AA.EE.SS.),
Pro Russia (1932-1935),
Pos. Scat. 11,
Fasc. 75,
Fol. 72r-74r

Datum: 19. August 1933
Verfasser: Arthur Boss
Empfänger: Kardinal Mery del Val
Inhalt: Handschriftlicher Bittbrief (1933) von Arthur Boss, Žitomir (Ukraine), an Kardinal Mery del Val in Rom.
[Randnotiz: Ingresso e da riportare alla prossima udienza.]
 
An seine Eminenz den Kard. Mery del Val
Rom, Giardino Vaticano
 
Hochheiliger Herr!
Vor allem möchte ich Eure Heiligkeit um Verzeihung bitten, dass ich mich erdreiste Eure Heiligkeit in meinen eigenen Angelegenheiten zu beunruhigen! Lange habe ich hin und hergedacht, wie ich wagte diesen Schritt zu tun; ich bitte Unsere Liebe Frau um ihren Beistand bei meinem Vorhaben. Der Grund meines Schreibens ist folgender: ich bin mit den Meinigen in der größten matteriellen Not und dem Hungertode nahe. In unserer Verzweiflung haben wir beschlossen uns an Eure Heiligkeit zu wenden. Wir wissen natürlich, und sind uns vollständig bewußt, was für eine Ungeheuerlichkeit wir damit begehen, doch haben wir keinen anderen Außweg, wir wollen uns eben vor dem Verhungern retten. Ich bitte Eure Heiligkeit mich nicht zu misverstehn und mir meine Bitte übelzunehmen, ich tue diesen Schritt nur als ultima ratio. Unsere Liebe Frau möchte dazu ihren Beistand leihen. Ich weiß, es kostet Ihrer Heiligkeit nur ein Wort und es ist uns geholfen, darum bitte ich Ihre Heiligkeit wenn möglich für uns, d. h. für mich und die Meinigen an geeigneter Stelle ein Wort für uns einlegen, dass man uns matterielle Hilfe zukommen lasen würde. Nur die alleräußerste Not, hat mich zu diesem Schritte gezwungen, bitte mir deswegen nicht böse zu sein. Villeicht kann auch Eure Heiligkeit, oder jemand aus dem Bekanntenkreise etwas für uns beisteuern. Rettet uns und helft uns! Die für uns bestimmte Summe Italienischer Lire’s müßten durch eine Bank an die Schitomir Staatsbank-Torgsin überwiesen und dabei meine Adresse angegeben werden: Artur Boss, Rußland, Schitomir, Prochorovskaja 24. Dann könnte das Geld auch im Geldbriefe an diese Bank gesand werden. Oben auf dem Couvert müßte folgendes geschrieben werden: Rußland, Schitomir, Gosbank Torgsin. Innen bei dem Gelde müßte ein Zettel folgenden Inhaltes liegen (in italienischer Sprache): Bitte Herrn Artur Boss, Schitomir, Prochorovskaja 24, für beiligende … Lire aus Ihren Torgsin-Kaufläden Eßwaren zu verabfolgen. Absenderadresse und Datum.
Wir würden hier für Ihr Geld in beiden Fällen aus den Torgsin-Kaufläden Eßwaren zu billigen Preisen erhalten und wären somit vor dem sicheren Hungertode gerettet. Es wäre gut parallel dem durch die Bank, oder per Post im Geldbriefe abgesandten Gelde auch eine kleine Summe Lire einfach im Briefe an mich [zu] senden, da wir so die Hilfe sehr schneller hätten.
Wird es uns Ihre Heiligkeit verzeihen, dass wir uns erdreistet haben um Hilfe zu bitten? Uns hat nur die äußerste Not dazu gezwungen! Verzeihung Eure Heiligkeit! Die Hilfe tut umgehend Not, bis dat qui cito dat!
 
Um Eurer Heiligkeit Segen bittend verbleibt
 
gez. Artur Boss
Schitomir 19 VIII 33

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Dokument Nr. 43

4. Die große Hungersnot 1932/33

Segreteria di Stato, Sezione per i Rapporti con gli Stati, Archivio Storico (S.RR.SS.),
Congregazione degli Affari Ecclesiastici Straordinari (AA.EE.SS.),
Pro Russia (1932-1935),
Pos. Scat. 11,
Fasc. 75,
Fol. 79r-81r

Datum: 5. September 1933
Verfasser: Heinrich Wienken
Empfänger: Orsenigo, Nuntius in Berlin
Inhalt: Der Direktor des Deutschen Caritasverbandes in Berlin, Heinrich Wienken, berichtet dem Apostolischen Nuntius in Berlin, Orsenigo, über die Hilfsaktion für die Hungerleidenden in Sowjetrussland.
Deutscher Caritasverband
Berlin, den 5. September 1933.
 
Sr. Exzellenz
dem Hochwürdigsten Herrn Apostolischen Nuntius Orsenigo
 
 
Ew. Exzellenz!
gestatte ich mir unter Bezugnahme auf die gestrige mündliche Besprechung über die „ H i l f s a k t i o n   z u g u n s t e n   d e r   H u n g e r n d e n   i n   R u s s l a n d “ nachstehende Ausführungen zu machen:
Die Vermittlung der Liebesgaben aus Deutschland an die Hungernden in Russland erfolgt in der Hauptsache durch die Gesellschaft für Paketversand nach U.d.S.S.R. Fast & Co., Berlin W. 62, Wittenbergplatz 1, und zwar auf dem Torgsin-Wege. Es werden Pakete und auch Geld geschickt. In den meisten Fällen wird in den Bittbriefen die aus Russland kommen, angegeben, ob die Uebersendung von Paketen oder Geld gewünscht wird. In der letzten Zeit wird sehr oft der Wunsch geäussert, dass Geld übersandt werden möchte. Diese Wünsche werden selbstverständlich berücksichtigt.
Die Besatzung der Gesellschaft für Paketversand für Liebesgabensendungen nach Russland hat den Vorzug, dass von ihr eine Garantie für die tatsächliche Aushändigung der Liebesgaben an die jeweiligen Empfänger in Russland geleistet wird. Bleibt die Bestätigung des Empfängers aus, so wird der Wert der Sendung erstattet.
Die Betreuung der notleidenden deutschstämmigen Katholiken in Russland liegt ausschliesslich in den Händen des Deutschen Caritasverbandes, Berlin. Gehen Bittgesuche von Katholiken bei der evangelischen oder mennonitischen Hilfsstelle oder auch bei der Zentralgeschäftsstelle „Brüder in Not“ ein, so werden diese Gesuche an den Caritasverband abgegeben, umgekehrt leitet der Caritasverband bei ihm eingehende Bittgesuche von Protestanten und Mennoniten an die entsprechenden anderen Hilfsstellen weiter.
Die Unterstützungsmittel, die auf das Conto des Deutschen Caritasverbandes eingezahlt werden, werden ausschliesslich für die notleidenden Katholiken verwendet. Von den Mitteln, die auf das Conto der Reichssammlung „Brüder in Not“ eingezahlt werden, erhält der Caritasverband zur ausschliesslichen Hilfe für die notleidenden Katholiken 20 %.
Bei der Geschäftsstelle „Brüder in Not“ wurde in den letzten zwei Monaten ein Betrag von 680.000.- M. eingezahlt. Auf dem Conto des Deutschen Caritasverbandes gingen ca. 9000.- M. ein.
Eine evtl. Spende aus Rom, die auf das Conto des Deutschen Caritasverbandes eingezahlt wird, würde demnach ausschliesslich den notleidenden Katholiken in Russland, und zwar je nach Bestimmung Priestern oder Laien, zugewendet werden können.
In einzelnen besonders dringenden Fällen hat der Caritasverband auch notleidenden Katholiken nichtdeutscher Nationalität in Russland, die Bittgesuche geschickt hatten: Polen, Ruthenen usw. Liebesgaben zugewandt. Es ist uns in Berlin nicht bekannt, ob in anderen Ländern für diese notleidenden Katholiken zuständige Hilfskomitees, denen die Bittgesuche zur Erledigung übersandt werden können, bestehen. Es wäre sehr erwünscht, aus Rom eine Aeusserung darüber zu erhalten, ob diese Praxis Zustimmung findet.
Bezüglich der von Wien aus eingeleiteten Aktion (Cardinal-Erzbischof Innitzer und Dr. Ammende) ist zu bemerken, dass nach den Erklärungen des Herrn Dr. Ammende am 1. August in Berlin nicht beabsichtigt ist, in Wien eine besondere Sammel- oder Hilfsstelle zugunsten der Hungernden in Russland einzurichten. In Oesterreich hat nach seiner Meinung in Anbetracht der dort herrschenden schlechten Wirtschaftsverhältnisse eine Sammlung überhaupt keine Aussicht auf Erfolg. Die zentrale Sammel- und Hilfsstelle soll vorläufig in Berlin bleiben. Sollte freilich das geplante  W e l t h i l f s w e r k  zustande kommen, so müssten über dessen Organisierung besondere Abmachungen getroffen werden.
Die russische Hilfsaktion, soweit sie sich auf Katholiken erstreckt, kann auch in Zukunft in derselben Weise wie bisher vom Deutschen Caritasverband in Berlin weiter durchgeführt werden, auch selbst für den Fall, dass sie, wie zu erwarten steht, in nächster Zeit einen grossen Umfang annehmen wird.
Der Caritasverband beabsichtigt, in Berlin eine Zentralkartothek sämtlicher notleidenden deutschen katholischen Familien in Russland einschliesslich der Priester, einzurichten. Die Mennoniten haben es schon erreicht, dass ihnen sämtliches Adressenmaterial der notleidenden Mennoniten in Russland auch von den Hilfsstellen in anderen Ländern: Holland, Schweiz, Nordamerika usw. in Berlin zur Verfügung gestellt wird. Dasselbe trifft bei den Protestanten zu. Der Deutsche Caritasverband erhielt bisher erst von wenigen russischen Hilfsstellen für die notleidenden Katholiken in Russland: Holland, Schweiz, Tschechoslowakei Adressenmaterial. Von anderen Ländern ist es uns zugesagt worden.
Die Kartothek des Caritasverbandes zählt bisher 750 notleidende katholische Familien. Weiterhin enthält sie die Namen sämtlicher katholischen deutschen Geistlichen. Alle diese Familien und ebenso die Priester werden in gewissen Abständen mit Liebesgaben versorgt. Im Augenblick haben wir jedoch den Versand von Liebesgaben nach Russland etwas eingeschränkt, weil dort zurzeit infolge der eingebrachten guten Ernte wenigstens in vielen Gegenden die Not nicht so drückend ist.
 
Durch die zentrale Zusammenfassung der gesamten Hilfsaktion für die Katholiken wird es möglich sein, dass Missbräuche, wie sie gelegentlich schon vorgekommen sind, insofern einzelnen Notleidenden in Russland, die sich an verschiedene Hilfsstellen wandten, Liebesgaben im Ueberfluss zugeleitet wurden, während andere leer ausgingen, in Zukunft vermieden werden können.
 
Indem ich hoffe, Ew. Exzellenz mit vorstehenden Ausführungen gedient zu haben, verbleibe ich
in ehrfurchtsvoller Ergebenheit!
 
gez. Heinrich Wienken
Direktor

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Dokument Nr. 44

4. Die große Hungersnot 1932/33

Segreteria di Stato, Sezione per i Rapporti con gli Stati, Archivio Storico (S.RR.SS.),
Congregazione degli Affari Ecclesiastici Straordinari (AA.EE.SS.),
Pro Russia (1932-1935),
Pos. Scat. 11,
Fasc. 75,
Fol. 84r

Datum: 9. September 1933
Verfasser: Michel d’Herbigny
Inhalt: Vorlage der Päpstlichen Kommission Pro Russia für die Audienz des Papstes am 9. September 1933 und dortiger Beschluss, den Hungernden in der Sowjetunion eine Spende zukommen zu lassen.
Per l’Udienza del S. Padre
 
Oggetto: Rapporto di Mons. Wienken circa il funzionamento dei soccorsi ai cattolici affamati di Russia.
Mons. Nunzio di Berlino è di parere che l’offerta da parte di questa Pont. Commissione sarebbe ben affidata e servirebbe a imprimere all’azione caritatevole un impulso, che potrebbe servire di stimolo ad altre anime generose.
Nella lettera del 9 agosto (spedita l’11 agosto) u.s. la Pontificia Commissione ha fatto sperare a Mons. Orsenigo di poter disporre di 10.000 lire come sussidio straordinario per gli affamati nellʼURSS, se il S. Padre volesse approvarlo.
 
[Handschriftliche Notiz d’Herbignys nach der Audienz:
Ex audientia SSmi, 9 sett. 1933
Può mandarsi al Nunzio un sussidio straord. di 10000 lit. come offerta del S. Padre, per il tramite della Sua Comm. Pont. e della Nunziatura.]
 
M d’H. [Michel d’Herbigny]

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Dokument Nr. 45

5. Hilfsdiplomatie, Kommunikationswege und Vermittler

Segreteria di Stato, Sezione per i Rapporti con gli Stati, Archivio Storico (S.RR.SS.),
Congregazione degli Affari Ecclesiastici Straordinari (AA.EE.SS.),
Pro Russia (1925-1945),
Pos. Scat. 22,
Fasc. 143,
Fol. 7r-8rv

Datum: 23. August 1929
Verfasser: Deutsche Botschaft in Moskau
Empfänger: Päpstliche Kommission Pro Russia
Inhalt: Zwei deutsche Bäuerinnen aus dem deutschen Dorf Selz bei Odessa brechen nach Moskau auf, um dort bei der Deutschen Botschaft und bei sowjetischen Behörden Bittschriften für den verhafteten Dorfpfarrer Johannes Furch abzugeben. Die Deutsche Botschaft fühlt sich aber außer Stande zu helfen.
Aufzeichnung
 
Es sprachen heute die beiden deutschstämmigen Sowjetstaatsangehörigen Frau Magdalena  T o r s c h e r  und Frau Anna Maria  J u n d , Bäuerinnen aus dem Dorfe Selz, Kreis Odessa, hier vor und gaben von Nachstehendem Kenntnis.
Der römisch-katholische, etwa 37 Jahre alte Priester Johannes  F u r c h  in Selz ist am 23. Oktober 1928 auf die GPU nach Odessa vorgeladen, tags darauf daselbst verhaftet und am 19. Januar 1929 ins Gefängnis überführt worden. Kurz nach der Verhaftung haben Beamte das Haus des Priesters nach Papieren usw. durchsucht, jedoch ohne etwas Verdächtiges zu finden. Die GPU hat dann Einwohner der Gemeinde Selz verhört, um Beweise gegen den Priester zu sammeln. Das Verhör blieb jedoch ohne greifbares Ergebnis, bis der Lehrer von Selz aussagte, der Priester Furch habe ihm, dem Lehrer, geraten, seinen Beruf aufzugeben, da ihn dieser wegen der von der Regierung befohlenen Lehren in Widerstreit mit der Religion bringe. Obwohl der Priester die Unwahrheit der ihm unterstellten Aussage beteuerte, wurde doch dem Lehrer Glauben geschenkt. Einer der GPU-Beamten soll den hierüber entsetzten Gemeindemitgliedern gesagt haben: „er, der Lehrer, ist ein treuer Arbeiter, deshalb müssen wir ihm glauben.“ Dies hat sich Anfang November 1928 zugetragen. Von dieser Zeit an ist der Priester angeblich nicht mehr verhört worden. Über das Ergehen des Priesters haben sich die Bäuerinnen in den Sprechstunden, die er ihnen im Gefängnis geben durfte, auf dem Laufenden halten können. Die erste dieser Sprechstunden ist am 20. März 1929 gestattet worden, die weiteren in Zwischenräumen von 2–3 Wochen, die letzte hat am 10. August stattgefunden; am selben Tage ist dem Priester eröffnet worden, er würde auf 5 Jahre nach Solowki (Insel im Nördlichen Eismeer) „ausgesiedelt“.
Am 12. August ist der Priester Furch von Odessa nach Charkow und am 20. August angeblich nach Moskau überführt worden.
Die Bäuerinnen haben die für sie kostspielige und nicht ungefährliche Reise nach Moskau unternommen, um den Geistlichen, dem unterwegs in Charkow alle mitgenommenen Wäsche- und Kleidungsstücke gestohlen worden waren, dürftig mit dem Nötigsten zu versehen, ferner, um bei den Sowjetbehörden Bittschriften von Gemeindemitgliedern zu übergeben. Außerdem sollten die Frauen auf Anraten eines in Selz noch im Amte befindlichen Geistlichen die Deutsche Botschaft von dem Vorgefallenen unterrichten und – soweit möglich – um Hilfe bitten.
Hinsichtlich des letzten Punktes ist den beiden Bäuerinnen eröffnet worden, daß die Deutsche Botschaft volles Mitgefühl mit dem schweren Los des zur Verschickung verurteilten Priesters habe und auch den Schmerz der Gemeinde über den Verlust ihres allseitig verehrten Geistlichen nachfühle. Es sei aber für die Deutsche Botschaft sehr schwierig, sich für einen Sowjetstaatsangehörigen zu verwenden, da nach mancherlei Erfahrungen befürchtet werden müsse, daß durch die Einmischung eines fremden Staates der Gefangene nur neuen Verdächtigungen ausgesetzt sei. Unter diesen Umständen würde im Interesse des Priesters von Schritten der Botschaft bei den hiesigen Behörden besser abgesehen; dagegen würden der Deutsche Konsul in Odessa und in Deutschland das Auswärtige Amt und durch dieses die kirchlichen Stellen unterrichtet werden.
 
Moskau, den 23. August 1929.

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Dokument Nr. 46

5. Hilfsdiplomatie, Kommunikationswege und Vermittler

Archiwum Archidiecezjalne Wrocław [Erzbischöfliches Archiv Breslau/AAWr],
Zespół [zesp.] IA25 [Bestand Bertram],
Sygnatura [syg.] r10

Datum: 5. September 1931
Verfasser: Apostolische Nuntiatur in Deutschland
Empfänger: Erzbischöfliche Kurie in Breslau
Inhalt: Die Apostolische Nuntiatur in Deutschland vermeldet die neue Zusammensetzung des „Päpstlichen Hilfswerks für die Russen in Deutschland“.
Berlin, den 5. September 1931.
An die Hochwürdigen Herren Erzbischöfe und Bischöfe Deutschlands!
 
Die Apostolische Nuntiatur hatte seinerzeit die Ehre, durch Schreiben vom 9. April 1928 Nr. 339255 die Bildung eines besonderen Ausschusses für das „Päpstliche Hilfswerk für die Russen in Deutschland“ mitzuteilen, dessen Präsidium dem Hochwürdigsten Herrn Bischof von Danzig Monsignor EDUARD O’ROURKE anvertraut wurde.
Der Heilige Stuhl hat nunmehr anstelle des vom Vorsitz des Russenhilfswerkes zurückgetretenen Hochwürdigsten Herrn Bischofs von Danzig Seine Exzellenz den Hochwürdigsten Herrn Dr. CHRISTIAN SCHREIBER, Bischof von Berlin, ernannt. Weitere Mitglieder des Russenhilfswerkes sind:
Hochwürden Monsignore HEINRICH WIENKEN, Direktor der Hauptvertretung des Deutschen Caritasverbandes in Berlin;
Hochwürden Herr P. EDUARD GEHRMANN S.V.D., der seinerzeit Mitglied und später Leiter der Päpstlichen Hilfsmission in Russland war;
Hochwürden Monsignore THEODOR GRABE, Pfarrer von St. Elisabeth in Berlin-Schöneberg, als Vertreter Seiner Eminenz des Hochwürdigsten Herrn Kardinals BERTRAM, Fürst-Erzbischof von Breslau;
Der Hochwürdigste Herr Prälat Dr. JOHANNES LEICHT, Domprobst von Bamberg, (anstelle des an die kathol. Universität nach Peking berufenen Prof. Dr. ALOIS MAUDERER) als Vertreter Seiner Eminenz des Hochwürdigsten Herrn Kardinals von FAULHABER, Erzbischofs von München-Freising;
Hochwürden Herr Studienrat Dr. LUDWIG SCHADE, Berlin, als Vertreter Seiner Eminenz des Hochwürdigsten Herrn Kardinals SCHULTE, Erzbischof von Köln.
Indem die Apostolische Nuntiatur dies auftragsgemäß den Hochwürdigsten Herren Erzbischöfen und Bischöfen Deutschlands ergebenst zur Kenntnis bringt, beehrt sie das “Päpstliche Hilfswerk für die Russen in Deutschland“ im Namen des Hl. Stuhles aufs wärmste zu empfehlen und bittet, sich dieses Werkes, das dem Hl. Vater so sehr am Herzen liegt, nach Kräften annehmen zu wollen.
Mit dem Ausdruck vorzüglichster Hochschätzung und tiefster Verehrung
 
ganz ergebenst
i. V.
[Unterschrift nicht lesbar]
Nuntiaturrat.

Auswahl
Dokument Nr. 47

5. Hilfsdiplomatie, Kommunikationswege und Vermittler

Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (PA AA),
R 62247

Datum: 7. März 1932
Verfasser: Hilger, Deutsche Botschaft in Moskau
Empfänger: Terdenge, Vortragender Legitimationsrat, Auswärtiges Amt
Inhalt: Ein Mitarbeiter der deutsche Botschafter in Moskau, Hilger, berichtet im März 1932 dem Auswärtigen Amt über Schwierigkeiten bei der Zustellung von Hilfspaketen an katholische Geistliche in den Lagern.
Deutsche Botschaft
Moskau, den 7. März 1932
An Herrn Vortragenden Legationsrat Terdenge, Berlin
 
Vertraulich.
 
Sehr verehrter Herr Terdenge!
 
 Wie wir durch besondere Gelegenheit erfahren haben, hat Pfarrer  K ö l s c h , von dem ich Ihnen zuletzt am 13. Februar 1932 schrieb, die Geldsendungen durch das Rote Kreuz mit großer Freude in Empfang genommen und nunmehr um ein Paar Stiefel gebeten. Wir werden versuchen, mit den uns neulich übermittelten Markbeträgen diese zu beschaffen und sodann möglichst durch das Rote Kreuz an ihn gelangen zu lassen.
 Hierzu möchte ich noch bemerken, daß der Vertreter des Roten Kreuzes in seiner letzthin der Botschaft übermittelten Abrechnung vermerkt hat, daß die Sendungen an die Pfarrer Johann  H e i l m a n n ,  S t i l l , L.  W e i n m e i e r , Michael  W o l f , Johann  R o t h , Valentin  B ö c h l e r  und Georg  B e i e r  zurückgekommen sind, weil die Adressen sich geändert haben. Er teilte ferner mit, daß eine Versendung von Paketen nach den im Norden gelegenen Verbannungsorten im Winter leider nicht in Frage komme. Immerhin haben wir den Versuch gemacht, zunächst wenigstens diejenigen Pfarrer mit „Torgsin-Paketen“ zu versorgen, die sich an mit der Bahn erreichbaren Orten befinden.
 
Mit den angelegentlichsten Empfehlungen verbleibe ich
Ihr sehr ergebener
gez. Hilger

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Dokument Nr. 48

5. Hilfsdiplomatie, Kommunikationswege und Vermittler

Politisches Archiv des Auswärtigen Amts (PA AA),
R 62247

Datum: 12. April 1932
Verfasser: Twardowski, Deutsche Botschaft in Moskau
Empfänger: Terdenge, Vortragender Legitimationsrat, Auswärtiges Amt
Inhalt: Die Deutsche Botschaft in Moskau berichtet dem Auswärtigen Amt über die Entsendung von Hilfspaketen des Internationalen Roten Kreuzes an verbannte katholische Geistliche.
Deutsche Botschaft Moskau, den 12. April 1932
An den Vortragenden Legationsrat Terdenge, Auswärtiges Amt, Berlin
Vertraulich!
 
Sehr geehrter Herr Terdenge!
 
 Der Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes hat uns mitgeteilt, daß an die Patres Joseph  K ö l s c h , Jakob  R o s e n b e r g , Paul  A s c h e n b e r g  und Ludwig  E r k  Pakete mit Torgsinwaren abgesandt sind, die Lebensmittel, Seife, Wäsche und dem besonderen Wunsche des Paters Kölsch entsprechend auch Stiefel enthalten. Über den Empfang dieser Pakete liegen noch keine Nachrichten vor. Es steht aber zu hoffen, daß die Sendung von Torgsinpaketen demnächst auch auf die Mehrzahl der übrigen in Fragen kommenden Geistlichen ausgedehnt werden kann.
 
 Mit den angelegentlichsten Empfehlungen verbleibe ich
 
Ihr sehr ergebener
gez. Twardowski

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Dokument Nr. 49

5. Hilfsdiplomatie, Kommunikationswege und Vermittler

Politisches Archiv des Auswärtigen Amts (PA AA),
R 62247

Datum: 25. Juli 1932
Verfasser: Hilger, Deutsche Botschaft in Moskau
Empfänger: Auswärtiges Amt
Inhalt: Mitteilung der Deutschen Botschaft Moskau an das Auswärtige Amt in Berlin über die Mittelzuteilung an inhaftierte katholische Geistliche.
Deutsche Botschaft,
Moskau, den 25. Juli 1932
Geheim.
[betreffend den] Erlass vom 2. Februar 1931
 
Betreff: Verwendung von Beträgen für das katholische Deutschtum in der Sowjetunion
 
Der mit den nebenbezeichneten Erlaß überwiesene Betrag von RM 12.000.- ist seinerzeit mit der hiesigen Staatsbank in Rbl. 5.503,20 umgewechselt und folgendermaßen verwandt worden:
1) Dem Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes wurden zur Verteilung an die verschickten und verhafteten Patres insgesamt Rbl. 3,497,20 übergeben. Über die Verwendung dieses Betrages im einzelnen mit Ausnahme eines erst am 16. 7. zur Verteilung weitergegebenen Betrages von Rbl. 450.- liegen der Botschaft die Berichte des Internationalen Roten Kreuzes vor.
2) An das Konsulat Odessa wurden Rbl. 1.386.- gesandt, die dort bestimmungsgemäß verwandt worden sind. Der Betrag ist, wie das Konsulat berichtet hat, erschöpft.
3) Von dem Rest in Höhe von Rbl. 620.- wurden
Rbl.  300.- an die katholische Kirche in Moskau,
  „     200.- an P. Hermann
  „     120.- an P. Koelsch
verausgabt.
 
Im Auftrag
gez. Hilger

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Dokument Nr. 50

5. Hilfsdiplomatie, Kommunikationswege und Vermittler

Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (PA AA),
R 62247

Datum: 1. September 1932
Verfasser: Terdenge, Vortragender Legationsrat, Auswärtiges Amt
Empfänger: Deutsche Botschaft Moskau
Inhalt: Anweisung des Auswärtigen Amtes über die Auszahlung von 3.000 Reichsmark aus kirchlichen Mitteln für deutsche Katholiken in der Sowjetunion durch die Deutsche Botschaft Moskau.
Beglaubigte Abschrift
Auswärtiges Amt
Berlin, den 1. September 1932
 
Mit Beziehung auf den Bericht vom 4. April 1932- Tgb. Nr. E 150.-
 
Für das katholische Deutschtum in der Sowjetunion ist aus kirchlichen Mitteln für dieses Jahr zunächst ein Teilbetrag von 3000.- Rm (Dreitausend Reichsmark) bewilligt worden. Die Botschaft wird ermächtigt, diesen Betrag auszuzahlen (Haushaltsüberwachungsliste Kap. IV 4 Tit. 66 Nr. 37 Kassenanweisung VI W 6735 vom 1. September 1932). Mit Beziehung auf die Besprechung von Herrn Gesandtschaftsrat von Tippelskirch mit der Botschaft wird gebeten, eine Umwechslung in russische Währung so günstig wie möglich vorzunehmen. Über die Verwendung des Geldes bitte ich zu gegebener Zeit zu berichten.
Sobald dieser Betrag aufgebraucht ist, bitte ich gegebenenfalls einen weiteren Teilbetrag anzufordern.
 
Im Auftrag
gez. Terdenge
An die Deutsche Botschaft in Moskau
 
Für richtige Abschrift
gez. Manofeld
Ministerialkanzleisekretär

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Dokument Nr. 51

5. Hilfsdiplomatie, Kommunikationswege und Vermittler

Archiv des Deutschen Caritasverbandes e. V. (ADCV),
R681,
Fasz. 01

Datum: nach September 1932
Verfasser: „Brüder in Not“
Inhalt: Logistik, wie Hilfslieferungen aus Deutschland die notleidenden „deutschstämmigen Brüder“ in der Sowjetunion erreichen: Geldüberweisungen über das sowjetische Torgsin-System, Paketsendungen über eine erprobte Firma mit Sitz in Berlin.
Vertrauliches Rundschreiben.
Nicht zur Veröffentlichung
 
 
L i e b e s g a b e n   n a c h    R u s s l a n d.
 
Die Nachrichten über die trostlose Notlage in der Sowietunion, besonders unter unseren deutschstämmigen Brüdern, werden von Tag zu Tag dringender. Eine Hungerkatastrophe in einzelnen Gebieten scheint nach dem Urteil aller Sachkundigen unvermeidlich.
Diese Tatsache zwingt uns, auf alle möglichen Hilfsmassnahmen zu sinnen. Wie die Verhältnisse heute liegen, ist  n u r  der Weg individueller Hilfe durch Geld- oder Paketsendungen an einzelne Empfänger möglich. Dank der Bemühungen der in Frage kommenden Stellen und Organisationen gibt es seit kurzem auf Grund von Abmachungen mit der russischen Seite sichere Möglichkeiten, solche Sendungen von Fall zu Fall nach unseren Weisungen von Berlin aus durchzuführen.
Die Geldüberweisung nach Russland gehen unter der Garantie einer sowjetrussischen Bankstelle an die staatlichen Torgsingeschäfte in den grösseren oder kleineren russischen Städten zu besonders ausbedungenen niedrigen Spesen (Ueberweisungen bis zu 200,-M. nur 2.-M Spesen). Die Empfänger erhalten von dem nächstliegenden Torgsingeschäft, an das die Spende geschickt wird, die Torgsinpreisliste mit der Aufforderung, sich nach dieser Liste für den übersandten Betrag die gewünschten Waren abzuholen oder schicken zu lassen. Das innerrussische Porto für diese Pakete ist festgelegt und beträgt für 10 kg. 1,50 Rubel (3,30 M.). Weil die Warenbestände in den Torgsin-Geschäften in den kleineren Städten oft unzureichend sind, besteht der Plan, die Pakete an die Empfänger in der Hauptsache aus Moskau und den grösseren Städten absenden zu lassen, sofern dies im einzelnen Falle praktisch ist oder von den Beteiligten gewünscht wird. Es sei hier noch bemerkt, dass das Torgsin-System sich in Russland immer weiter auszubreiten scheint.
Es sind weiter Paketsendungen aus dem Ausland zu günstigeren Bedingung als bisher möglich, und zwar durch eine Berliner Versandgesellschaft, deren Dienste von grösseren caritativen Organisationen vor allem der mennonitischen bereits erprobt sind; diese Gesellschaft führt auch die Torgsin-Ueberweisung aus und firmiert:
“Gesellschaft für den Paketversand nach Russland“
Inhaber Fast & Briliant, Berlin W. Wittenbergplatz 1.
 
Bekanntlich hatten die Mennoniten zur Ueberwachung ihrer recht grossen Paketversendung über die Firma Tietz bis zur Auflösung dieses Monopolvertrages mit den Russen (1. Sept. 1932) bei dieser Firma Herrn A. P. Fast Berlin W.30. Frankenstrasse 8, (Tel. Pallas 1595) als Vertrauensmann und technischen Sachbearbeiter bestimmt. Dieser Vertrauens- und Ueberwachungsposten ist bisher auch den anderen caritativen Organisationen zugute gekommen. In der erwähnten Gesellschaft wird Herr Fast in massgebender Position mitarbeiten, wodurch eine starke Garantie gegeben ist. Eine juristische oder moralische Bindung an die Treuhandgesellschaft besteht nicht, auch seitens der Mennoniten-Organisation nicht.
Da eine Konzentration aller caritativen Kräfte aus den verschiedensten Gründen geboten ist, empfehlen wir nach eingehender Prüfung aller bestehenden Möglichkeiten für Geld- und Paketsendung nach Russland diese Gesellschaft zu benutzen. (Der Vollständigkeit halber seien die anderen Möglichkeiten angeführt: Lebensmittelsendung durch die Firma R. Koschwitz & Co, Berlin-Weissensee; andere Waren durch die Firma N. Israel, Berlin, Spandauerstrasse; Medikamente durch die Simons Apotheke, Berlin, Spandauerstrasse).
Nachdem nunmehr dieser günstige und erprobte Weg vorhanden ist, ist es die unaufschiebbare Aufgabe der einzelnen Kirchen- und Hilfsorganisationen, durch geeignete Aufrufe in ihrer Presse, die ihnen nahestehenden Kreise für dieses so notwendige Hilfswerk zu mobilisieren. Aus naheliegenden Gründen müssen diese Aufrufe – falls nicht das ganze Werk gefährdet werden soll! – unbeschadet ihrer wirksamen Sprache sich jeder politischen Stellungnahme und Werturteile enthalten. Weiter ist es empfehlenswert, dass die Aufrufe nicht von einer Spitzenorganisation, sondern von den kirchlichen Stellen und Verbänden  e i n z e l n  herausgehen.
Einen Vorschlag, wie etwa ein solcher Aufruf gehalten werden sollte, erlauben wir uns beizufügen.
 
Berlin, den . . . . . . . .
 
REICHSSAMMLUNG „BRUEDER IN NOT“
 
(Unterschriften der Verbände und Mitglieder)

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Dokument Nr. 52

5. Hilfsdiplomatie, Kommunikationswege und Vermittler

Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (PA AA),
R 62247

Datum: 6. Dezember 1932
Verfasser: Twardowski, Deutsche Botschaft Moskau
Empfänger: Auswärtiges Amt
Inhalt: Bericht der Deutschen Botschaft in Moskau an das Auswärtige Amt über die Verteilung von 3.000 Reichsmark zugunsten deutscher katholischer Geistlicher.
Deutsche Botschaft
Moskau, den 6. Dezember 1932
Auf den Erlaß VI W 10958 vom 31. Dezember 1931
 
Betr. Verwendung von Beträgen für das katholische Deutschtum in der Sowjetunion.
 
Geheim!
 
Der mit dem nebenzeichneten Erlaß überwiesene Betrag von RM 3000.- ist folgendermaßen verwandt worden:
1) Dem Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes wurden zur Verteilung besonders an die verschickten und verhafteten, aber auch an die noch im Dienst befindlichen deutschstämmigen katholischen Patres in der Zeit vom 27. Februar bis 5. Oktober 1932 insgesamt RM 2700.- übergeben. Über die Verwendung dieses Betrages im einzelnen liegen der Botschaft die Berichte des Internationales Roten Kreuzes und die Quittungen der Empfänger vor.
2) An das Konsulat Odessa wurden Rbl. 300.- = RM 300.- auf Anforderung übersandt.
 
In Vertretung
gez. Twardowski

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Dokument Nr. 53

5. Hilfsdiplomatie, Kommunikationswege und Vermittler

Segreteria di Stato, Sezione per i Rapporti con gli Stati, Archivio Storico (S.RR.SS.),
Congregazione degli Affari Ecclesiastici Straordinari (AA.EE.SS.),
Pro Russia (1932-1935),
Pos. Scat. 11,
Fasc. 73,
Fol. 72r-87r

Datum: 14. Dezember 1932
Verfasser: Heinrich Wienken, Deutscher Caritasverband, Direktor
Empfänger: Michel d’Herbigny, Kommission Pro Russia
Inhalt: Die deutsche Regierung unterstützt kulturelle Anstrengungen für die Deutschen in der Sowjetunion. Darunter fallen auch Geldzahlungen für katholische Geistliche, für die Erhaltung der mit hohen Steuern belegten Kathedrale von Saratov. Eine seltene Kontaktaufnahme eines deutschen Priesters aus der Wolgarepublik mit der Deutschen Botschaft in Moskau erbrachte ebenfalls Hilfestellungen für verfolgte Geistliche. Deutsche Katholiken und Mennoniten warten in Charbin auf die Ausreise nach Südamerika. Internationaler Aufruf der Caritas zur Unterstützung der Hungerleidenden in der Sowjetunion.
Betreff: Pastoration der deutschen katholischen Arbeiter in Russland.
Deutscher Caritasverband
Hauptvertretung
Berlin, den 14. Dezember 1932
 
Seiner Exzellenz
dem Hochwürdigsten Herrn Michael d’Herbigny
Bischof von Ilion, Präsident der Päpstlichen Kommission für Russland
Rom – Vatikan
 
Betr.: Pastoration der deutschen katholischen Arbeiter in Russland.
 
E w .   E x z e l l e n z !
 
Im Anschluss an das diesseitige Schreiben vom 21. Januar 1932 gestatte ich mir, Ew. Exzellenz ehrerbietigst mitzuteilen, dass die Deutsche Botschaft in Moskau zu der Anregung, die seelsorgliche Betreuung der deutschen Arbeiter in Russland ermöglichen zu helfen, in einem Schreiben an das Auswärtige Amt, das ich in der Anlage zur vertraulichen Kenntnisnahme beilege, Stellung genommen hat. (Anlage I.)
Gemäss dem Inhalt dieses Schreibens sind die Aussichten, dass in nächster Zeit mit der Pastoration der deutschen Arbeiter in Russland begonnen werden kann, sehr gering. Aber je mehr deutsche Arbeiter nach Russland auswandern -- darunter Familien mit Kindern --, um dort Arbeit und Brot zu suchen, um so stärker empfindet die Deutsche Regierung die Notwendigkeit, dass in  k u l t u r e l l e r  Hinsicht für diese Leute durch Einrichtungen von Schulen, Büchereien usw. gesorgt werde. Die Sowjetregierung wird sich, davon ist man überzeugt, hierbei in irgendeiner Weise zu Konzessionen bereitfinden lassen. Es wird diesehalb schon immer wieder zwischen der Deutschen Regierung und der Sowjetregierung verhandelt, und es darf erwartet werden, dass in nicht all zu langer Zeit eine Lösung gefunden wird. Vor wenigen Monaten konnte bereits in Moskau die erste deutsche Schule für reichsdeutsche Kinder eröffnet werden.
Mit der Schaffung dieser kulturellen Einrichtungen wird dann von selbst die Zulassung katholischer Lehrkräfte und ebenso katholischer Geistlicher zur Erteilung des Religionsunterrichtes und der weiteren religiösen Betreuung akut werden. Zu gegebener Zeit wird die Deutsche Regierung, wie sie hofft, es erreichen, dass die Einreise deutscher katholischer Geistlicher nach Russland seitens der Sowjetregierung gewährt wird. Es darf noch einmal betont werden, dass es der deutschen Regierung wirklich ernst mit ihrer Absicht ist, mitzuhelfen, dass die katholischen deutschen Arbeiter in Russland nicht ohne Seelsorge bleiben.
Erfreulich ist es, wie in diesem Zusammenhang bemerkt werden darf, dass die deutschen amtlichen Stellen in den zwei letzten Jahren ein ausserordentlich lebhaftes Interesse für das Schicksal der armen deutschstämmigen Katholiken in Russland, vor allem der katholischen Priester, zeigen. Die Deutsche Botschaft unterstützt, wie ich vertraulich mitteilen darf, regelmässig die katholischen Geistlichen mit Liebesgaben: Geld, Kleidung, Nahrungsmittel. Im laufenden Jahre wird hierfür ein Betrag von 12.000 – Mark aufgewandt. U.a. wurden:
im Juni d. Js. [diesen Jahres]  an 13 Geistliche Rubelbeträge und
an 14 Geistliche Lebensmittelpakete,
im August ds. Js. [diesen Jahres] an 15 Geistliche Geldbeträge und
an 17 Geistliche Lebensmittelpakete und
im September d. Js. [diesen Jahres] an 2 Geistliche Geldbeträge und
an 17 Geistliche Lebensmittelpakete
zugeleitet. Interessant ist ein vertraulicher Bericht aus Moskau, der hierauf Bezug nimmt und den ich Ew. Exzellenz in der Anlage zur gütigen vertraulichen Kenntnisnahme beilege. Ein zweiter Bericht folgte im November d. Js. [diesen Jahres]. Er wird auch in der Anlage zur gütigen Kenntnisnahme beigelegt. (Anlagen II. und III.)
Vor einigen Tagen erhielten wird sodann zur Kenntnisnahme einen Bericht über die katholische Gemeinde in Taschkent, der als Anlage IV beigefügt wird. Selbstverständlich werden wir dafür Sorge tragen, dass der in diesem Schreiben erwähnte katholische Geistliche Jarmolowitsch durch uns Liebesgaben zugeschickt erhält. (Anlage IV.)
Was die Erhaltung der Kathedrale in Saratow, über die im Bericht III die Rede ist, betrifft, so ist mit dem Auswärtigen Amt vereinbart worden, dass der Betrag von 5.000.- Rubel = 5.000.- Rmark gezahlt wird. Das Auswärtige Amt wird 3.000.- Mark zahlen, der Restbetrag wird anderweitig aufgebracht.
Da, wie uns bekannt ist, die Hungersnot in Russland zur Zeit sehr bedrohliche Formen angenommen hat, so sind, in Vereinbarung mit dem Auswärtigen Amt, in beschränktem Umfange Hilfsaktionen zu Gunsten der Hungernden in Russland, besonders der Deutschstämmigen eingeleitet worden. In diesen Tagen haben wir seitens des Deutschen Caritasverbandes beigefügten Aufruf an mehr als 80 Sonntagsblätter zur Veröffentlichung geschickt. Aus besonderen Gründen kann der Aufruf von politischen Tageszeitungen nicht veröffentlich werden, weil dann befürchtet werden muss, dass seitens der Sowjetbotschaft in Berlin die ganze Aktion gefährdet wird. Auch haben wir im Auslande, in den Vereinigten Staaten und Kanada um Einleitung einer Hilfsaktion gebeten.  – (Anlage V.)
Leider hat die Ueberführung der deutschrussischen Flüchtlinge, die sich immer noch in Harbin befinden, nach Süd-Amerika immer noch nicht stattfinden können. Wir schrieben Ew. Exzellenz bereits über diese Angelegenheit im Februar ds. Js. [diesen Jahres]. Da es uns in Deutschland unmöglich ist, die für die Ueberführung der 48 Katholiken und deren Ansiedlung in Süd-Amerika benötigte Geldsumme – etwa 37.000.- Mark – aufzubringen, so hatten wir gehofft, dass die deutschen Katholiken in den Vereinigten Staaten uns helfen würden. In einem Schreiben vom September ds. Js. [diesen Jahres] war auch eine Hilfe in ziemlich sichere Aussicht gestellt. Leider aber ist bis heute noch keine endgültige Zusage erfolgt. Vor wenigen Tagen haben wir erneut wieder in St. Louis nach dem Stand der Angelegenheit Erkundigungen eingezogen. Im vorigen Monat besuchte uns ein Herr Wiebe, der drei Jahre lang die Flüchtlingslager in Harbin geleitet hat, und berichtete über die Lage der dortigen Flüchtlinge. Er war besonders von der katholischen Gruppe beauftragt worden, uns mitzuteilen, dass man mit grosser Sehnsucht auf den Abtransport von Harbin wartet. Da die Katholiken immer noch in Unsicherheit sind, ob ihnen tatsächlich geholfen wird, sind sie durch das lange Warten ganz verzweifelt. Infolge der riesigen Ueberschwemmungen, die im Sommer in Harbin und Umgegend waren, sind die wirtschaftlichen Verhältnisse sehr schlecht geworden. Es herrscht grosser Mangel an Kleidung, und auch die Verpflegung lässt sehr zu wünschen übrig. Wie ich Ew. Exzellenz bereits mitteilte, ist in Süd-Amerika alles für die Aufnahme der Flüchtlinge vorbereitet. Auch sind die Verhandlungen mit den Schiffahrtsgesellschaften eingeleitet. Es braucht demnach nur das Geld zur Verfügung stehen, um sofort mit dem Transport der Leute beginnen zu können. Allerdings ist daran gedacht, dass die katholische Gruppe zusammen mit der mennonitischen Gruppe die Ueberfahrt nach Süd-Amerika antritt, weil dadurch die Transportkosten wesentlich verringert werden. Hoffentlich wird nun aus Amerika die erbeten Hilfe kommen. Wir werden uns erlauben. Ew. Exzellenz dann später weitere Mitteilung zu geben.
Als Anlage IV erlauben wir uns noch einen Bericht über die Lage der römisch- katholischen Kirche in der Autonomen Republik der Wolgadeutschen zu überreichen, der sicherlich das Interesse Ew. Exzellenz finden wird. (Anlage VI.)
In ehrfurchtsvoller Ergebenheit!
gez. Heinrich Wienken
Direktor.
 
 
6 Anlagen
 
Anlage I.
A b s c h r i f t .
 
V E R T R A U L I C H !
 
Mit verbindlichem Dank bestätige ich Ihre freundlichen Zeilen vom 15.d.M. [dieses Monats] und freue mich, Ihnen mit der fortlaufenden Uebermittlung der bei der Botschaft über die Lage der deutschen katholischen Geistlichen in der UdSSR eingehenden Nachrichten gedient zu haben.
Was die von Ihnen in Verbindung mit dem Schreiben des Deutschen Caritasverbandes aufgeworfene Frage bezüglich der Entsendung eines reichsdeutschen katholischen Geistlichen nach der UdSSR betrifft, so möchte ich Ihnen vor allem mitteilen, dass dieser Frage der Herr Botschafter persönlich das lebhafteste Interesse entgegenbringt. Er ist in letzter Zeit wiederholt auf diesen Punkt zurückgekommen und hat dabei ausdrücklich betont, dass ihm an einer positiven Lösung ausserordentlich gelegen sei, was auch darin zum Ausdruck gekommen ist, dass er bei Herrn Krestinski diesen unseren Wunsch schon vor geraumer Zeit vertreten hat. Der Herr Botschafter hat ferner gelegentlich der Reise des Legationssekretärs P. nach Swerdlowsk Anfang Dezember v.J. [vorherigen Jahres] diesen beauftragt, die Sachlage in Swerdlowsk zu klären und die dortigen reichsdeutschen Ingenieure und Techniker, die seinerzeit eine Petition an die Botschaft wegen Erhaltung der katholischen Kirche in Swerdlowsk gerichtet hatten, näher zu befragen. Dabei hat Herr Pfeiffer leider die Feststellung machen müssen, daß das tatsächliche Interesse der wenigen katholischen Ingenieure und Techniker an der Sache ausserordentlich gering ist. Sie erklärten ihm einstimmig, dass sie von sich aus niemals mit einem solchen Antrag hervorgetreten wären, wenn sie nicht zufällig von einigen ortsansässigen Katholiken dazu bewogen worden wären. Jedenfalls hätten sie dabei nicht aus einem eigenen inneren Bedürfnis heraus gehandelt. Aehnliche Beobachtungen sind auch anderen Stellen der UdSSR bei hier eingewanderten oder vorübergehend anwesenden reichsdeutschen Katholiken gemacht worden.
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass diese Zurückhaltung nicht zuletzt durch den kirchenfeindlichen Kurs der Sowjetregierung hervorgerufen ist, der bei den meisten die nicht unberechtigte Befürchtung erweckt, dass sie sich durch eine offene Bekundung ihrer religiösen Bedürfnisse bei ihrem Arbeitgeber in ein unliebsames Licht bringen könnten. Aber auch abgesehen hiervon würde die praktische Verwirklichung Ihres Gedankens, die hiesigen Reichsdeutschen durch einen oder mehrere aus Deutschland zu entsendende reichsdeutsche katholische Seelsorger zu betreuen, kaum zu überwindenden Schwierigkeiten begegnen. Ich fürchte vor allem, dass die Sowjetregierung, der bei der Beantragung des Sichtvermerks unbedingt reiner Wein eingeschenkt werden müsste, die Erteilung der Einreisegenehmigung ablehnen, zum mindesten aber zum Gegenstand langwieriger Verhandlungen machen würde. Sollte es trotzdem gelingen, dieses Hindernis zu überwinden, dann entsteht die Frage, wo die Gottesdienste stattfinden sollen. Die Reichsdeutschen sind auf dem gewaltigen Territorium der UdSSR zerstreut und als Ingenieure und Techniker zum Teil in ganz unwirtschaftliche Gegenden des Ostens verschlagen, wo fast nirgend Gotteshäuser zur Verfügung stehen, in denen die geistlichen Handlungen vorgenommen werden könnten. Gleichzeitig muss aber mit Sicherheit damit gerechnet werden, dass sich wohl nirgends so mutige und glaubenstreue Katholiken finden werden, die es wagen würden, ihre Privaträume, soweit sie infolge ihrer Beschränkungen hierfür überhaupt in Frage kommen, für kirchliche Zwecke zur Verfügung zu stellen. Bei den ungeheueren Hindernissen und Misshelligkeiten bei der Fortbewegung in diesem Lande, dem tagelangen Warten auf den Erhalt von Fahrkarten, den Schwierigkeiten in der Lebensmittelversorgung u.a.m. ist zu fürchten, dass der ideelle Nutzeffekt der Aktion in keinem Verhältnis stehen wird zu dem Aufwand der zu seiner Durchführung erforderlichen materiellen Mittel. Dazu kommt, dass der Möglichkeit einer religiösen Einwirkung auf die reichsdeutsche katholisch[e] Jugend in der UdSSR, - soweit eine solche hier überhaupt vorhanden ist, - durch das Verbot, Religionsunterricht an Minderjährige zu erteilen, sehr enge und harte Schranken gesetzt sind.
Es bleibt schliesslich die Frage, ob es möglich und zweckmässig erscheint, bei der Sowjetregierung die Genehmigung zur Stationierung eines katholischen Geistlichen bei der Deutschen Botschaft in Moskau zu beantragen. Zu dieser Frage hat sich meines Wissens Herr Pater Schlund nach seiner Rückkehr nach Deutschland dahin geäussert, dass er die Betätigungsmöglichkeiten für den Geistlichen angesichts des hier herrschenden Ueberwachungsdienstes für verschwindend gering halte.
Es war meine Pflicht, Ihnen, sehr verehrter Herr T., die bestehenden Schwierigkeiten in aller Offenheit darzulegen. Ich bitte Sie aber glauben zu wollen, dass wir keine Mühe scheuen würden, um die Hindernisse aus dem Weg zu räumen, wenn wir uns auch nur einen geringen Erfolg davon versprächen.
 
Unterschrift.
 
 
 
Anlage II.
Vertraulich!
 
Am 15. d.M. [dieses Monats] hat die Botschaft unter Tgb. Nr. E.118/32 über die Lage der römisch-katholischen Kirche in der Autonomen Republik der Wolgadeutschen berichtet. Im Anschluss daran möchte ich Ihnen heute noch einige Einzelheiten übermitteln, die sich für die Verwendung in einem Bericht nicht besonders eignen, die sich aber vielleicht durch gesprächsweise gegenüber den an diesen Fragen interessierten Kreisen verwerten liessen.
Einer der 4 Geistlichen, die zurzeit noch in der Wolga-Republik tätig sind, nämlich Pater H., war persönlich auf der Botschaft. Von ihm stammen zum grössten Teil die in dem Bericht enthaltenen Aufgaben. Pater H. war nach Moskau gefahren, um hier mit Bischof Neveu Fühlung zu nehmen. Insbesondere wollte er den Rat des Bischofs Neveu wegen der Erlangung des päpstlichen Dispens für den verheirateten Model einholen, der möglichst bald zum Priester geweiht werden soll. Bischof Neveu war jedoch in diesen Tagen krank und deshalb nicht in der Kirche anzutreffen. Auf der französischen Kirche war seine Adresse auch nicht zu erfahren.
Pater H. fasste sich dann ein Herz und kam auf die Deutsche Botschaft, wo er Gelegenheit fand, sich mit Herrn Leg.-Sekretär Pfeiffer gründlich auszusprechen. Das ist das erste Mal seit längerer Zeit, dass ein deutschstämmiger Geistlicher trotz des damit verbundenen Risikos den Weg zur Botschaft gefunden hat.
 Herr Pfeiffer war auch in der Lage, Pater H. die Adresse des Bischofs Neveu zu geben. Was er im einzelnen mit diesem vereinbart hat, hoffe ich in nächster Zeit zu erfahren.
Für Pater H. war es eine grosse Erleichterung, sich einmal offen aussprechen zu können. Die Geistlichen in der Wolgarepublik leben in einer so starken Isolierung, wie man sich das sonst bei der katholischen Kirche kaum vorstellen kann. Sie haben keine Fühlung mit ihren geistlichen Ober[e]n und wissen daher auch nicht, wie sehr man um ihr Los besorgt ist. Es war für Pater H. eine Ueberraschung, aber auch eine sehr grosse Freude zu hören, dass die ganze katholische Welt mit lebhafter Anteilnahme das Schicksal der Kirche und der Geistlichen in der Sowjetunion verfolgt.
Aus den über das Auswärtige Amt zur Verfügung gestellten Mitteln konnte Pater H. ein Betrag von Rbl. 200.- übergeben werden. Das bedeutet für ihn und die anderen katholischen Geistlichen der Wolgarepublik eine sehr wesentliche Förderung.
Um Pater H. nicht der Gefahr auszusetzen, in der Nähe der Botschaft abgefangen und verhört zu werden, brachte ihn Herr Pfeiffer mit einem Auto fort und setzte ihn in einer belebten Strasse ab. Pater H. war sichtbar gerührt und äusserte im Auto: „Das ist eine der glücklichsten Stunden meines Lebens“. Dabei ist er nach Pfeiffers Beschreibung, nicht etwa sentimentaler Salongeistlicher, sondern ein ziemlich robuster Bauernpfarrer.
Ich hoffe, dass sich nunmehr von Zeit zu Zeit wenigstens die Möglichkeit bietet, auch über die Geistlichen im Wolga-Gebiet etwas zu erfahren. Ich werde nicht verfehlen, Sie immer auf dem Laufenden zu halten, sei es durch Berichte oder durch Privatbriefe.
 
 
 
Anlage III.
 
Abschrift.
 V E R T R A U L I C H .
 
Der deutsche katholische Geistliche H. aus dem Wolgagebiet war Ende September wieder in Moskau. Es ist gelungen, sich mit ihm in Verbindung zu setzen. Pater H. sprach zunächst in aufrichtiger Bewegung Dank aus für die Hilfe, die ihm und seinen Mitbrüdern zuteil geworden ist. Sowohl die im Wolgagebiet noch tätigen Geistlichen als auch die verschickten Priester, deren Adresse er seinerzeit habe angeben können, hätten Lebensmittel und Geld erhalten. Von den Verschickten habe der eine oder andere bisher noch nicht antworten können, da er selten Postgelegenheit habe. Jedoch stehe er persönlich mit ihnen in einer wenn auch losen und unregelmässigen Verbindung. Pater H. versicherte, dass diese Hilfe allen Geistlichen wieder neuen Mut gegeben habe, dass sie von der ganzen Welt vergessen seien. Er war auch in der Lage, mehrere bisher unbekannte Adressen von verschickten Geistlichen anzugeben, sodass es nunmehr möglich sein wird, auch diese zu unterstützen. Im allgemeinen [Allgemeinen] soll die Lage der Verschickten zur Zeit nicht allzu trostlos sein; sie werden, soweit sie in Lagern untergebracht sind, zum grössten Teil in der Kanzlei verwendet.
Von grosser Wichtigkeit erscheint, was Pater H. von der Kirche in Saratow erzählte. Die Gemeinde der grossen katholischen Kirche in Saratow, die die Kathedralkirche der Diöcese Tiraspol ist, konnte seit zwei Jahren die Steuern nicht mehr entrichten. Vor einigen Monaten erging deshalb die Weisung zur Schliessung der Kirche. Die Kirchengemeinde legte Einspruch ein und erlange einen Beschluss, wonach bis zur endgültigen Entscheidung über die Steuerbeschwerde die Kirche offen bleiben soll. Es besteht als die Gefahr, dass die Kirche jederzeit dem Gottesdienst entzogen werden kann. Diese Gefahr kann durch Zahlung der fälligen Beträge abgewendet werden. Es handelt sich um eine Summe von 5 000 Rubeln; dabei sind einbegriffen die fälligen Steuern, die Steuerstrafe und die Kosten für die Unterhaltung. Wird dieser Betrag aufgebracht so kann die Kirche für einige Zeit als gesichert gelten.
Pater H. hob nachdrücklich hervor, dass die Schliessung gerade im gegenwärtigen Augenblick ein schwerer Schlag sein würde. In der drückenden Not der letzten Monate ist das religiöse Leben zu einer noch vor kurzem kaum denkbaren Blüte erwacht. Die Bevölkerung hat sogar ihre Angst und Scheu gegenüber der Partei verloren. Sie stützt sich auf die gesetzlichen Bestimmungen, die formell die Freiheit der Kirche gewähren, und verlangt, dass man den Geistlichen und der Kirche die Möglichkeit zur Betätigung gibt, Tatsächlich werden auch den Geistlichen in der letzten Zeit nicht mehr so grosse Hindernisse in den Weg gelegt. Man gestattet ihnen z.B. stillschweigend, obwohl das den geltenden Bestimmungen nicht entspricht, geistliche Handlungen auch ausserhalb ihres Bezirks vorzunehmen. Das ist besonders wichtig, weil ja in dem grossen Wolgagebiet nur noch ganz wenige Geistliche tätig sind. Die wiedererwachende religiöse Bewegung würde natürlich stark gehemmt, wenn nun die Kathedralkirche geschlossen werden würde.
 
 
 
Anlage IV.
Abschrift
V E R T R A U L I C H .
 
In Taschkent wurde von ungarischen Kriegsgefangenen der Bau einer grossen katholischen Kirche begonnen. Der Bau konnte aber nicht ganz zu Ende geführt werden. Die Bauweise war so solide, dass es bisher nicht gelang, die Mauern niederzureissen. Die Kirche steht mit ihrer sehr eindrucksvollen Fassade noch jetzt, ist aber nicht in Benutzung. Der katholische Gottesdienst findet in einem Betsaal statt. Es besteht eine katholische Gemeinde von etwa 2000 Seelen. Infolge des Zustroms aus dem Wolgagebiet bilden die Deutschen jetzt den hauptsächlichsten Bestand der Gemeinde. Es ist ein katholischer Priester für ganz Mittel-Asien vorhanden. Er ist Weissrusse von Geburt, 40 Jahre alt und ist am grossen Seminar in Leningrad vor dem Kriege ausgebildet worden. Nach seinen Angaben sind die deutschen Mitglieder die eifrigsten. Der Geistliche lernt bei der Frau des evangelischen Pastors Deutsch, um auch in deutscher Sprache predigen zu können. Die Adresse des Geistlichen lautet:
Anton Jarmolowitsch
2. Turch Jangischachar H. 4, 63.
Er ist völlig abgeschnitten von der Verbindung mit der katholischen Hierarchie und bezieht von keiner Seite Unterstützung. Bis vor kurzem war er 7 Monate in Haft wegen angeblicher „Hooliganstwo“ [huliganstvo, russ. Rowdytum, ein strafrechtlich relevanter Tatbestand in der Sowjetunion]. Er bezeichnet das religiöse Leben als sehr lebendig und gut. Es würde für ihn eine grosse Erleichterung bedeuten, wenn er durch Torgsin eine Unterstützung erhalten könnte.
 
 
 
Anlage V.
 
A U F R U F !
LIEBESGABEN für VERWANDTE und FREUNDE in SOWJETRUSSLAND.
 
Aus zahlreichen Nachrichten, die täglich eintreffen, sehen wir, dass die Notlage unserer Brüder in der Sowjetunion sich von Tag zu Tag steigert. Gross ist die Not in Deutschland, in Europa und Amerika – vielmals grösser ist sie im Osten.
Auf Grund von Abmachungen mit den Sowjetbehörden bieten sich aber für diejenigen, die Verwandte und Freunde in der Sowjetunion haben, durch unsere Vermittlung sichere Wege, an ihre Angehörigen und Bekannten in der Sowjetunion Pakete aus dem Ausland oder über die staatliche russischen Torgsingeschäfte Geld oder Waren zu senden.
Erprobte Typenpakete mit Lebensmitteln und anderen Waren oder nach Wunsch auch Einzelzusammenstellungen können zum Versand gebracht werden. Preislisten und Vorschläge stehen auf Wunsch gern zur Verfügung. Der Versand selbstgepackter Pakete muss bis auf weiteres als untunlich bezeichnet werden. Wir dürfen deshalb darum bitten, von der Zusendung solcher Gaben freundlichst Abstand zu nehmen
Barüberweisungen für bestimmte Personen können ebenfalls durch unsere Vermittlung an die staatlichen Torgsingeschäfte in der Sowjetunion in jeder Höhe getätigt werden. Die Torgsingeschäfte teilen den Bedachten die überwiesene Summe mit und führen soweit möglich, ihre Warenbestellungen aus.
Bei den deutschen Vertrauensstellen liegen viele Bittgesuche von notleidenden Personen vor, die in Deutschland keine Angehörigen haben, ebenso solche von mittellosen deutschen Bittstellern um Hilfeleistungen für ihre Angehörigen in der Sowjetunion.
Wer Verwandte und Freunde in der Sowjetunion hat, darf keinen Tag mehr säumen! Deshalb sendet Geld und Bestellungen!
Wer keine Verwandten oder Freunde in Sowjetrussland zu bedenken hat, der möge an die denken, denen niemand hilft und für sie Geldspenden zur Verfügung stellen! Jedes Scherflein ist willkommen und bringt Segen!
 
Berlin, N.24.
DEUTSCHER CARITASVERBAND
Hauptvertretung Berlin.
Oranienburgerstrasse 13/14
d.7. XII. 1932
 
 
 
Anlage VI.
Abschrift.
 
S T R E N G   V E R T R A U L I C H !
 
Die Lage der römisch-katholischen Kirche in der Autonomen Republik der Wolgadeutschen.
 
Das europäische Russland bildet kirchenrechtlich noch heute einen Teil der Diöcese Tiraspol. Zu dieser Diöcese gehören in der Sowjetunion 4 Apostolische Administraturen: Krim (mit dem Sitz in Odessa), Kaukasus (mit dem Sitz in Piatigorsk), Saratow und Moskau.
Die Autonome Republik der Wolgadeutschen untersteht der Apostolischen Administratur in Saratow. In Saratow war früher ein kleines und ein grosses Seminar, in dem der Nachwuchs für den Klerus ausgebildet wurde. Die Stelle des Administrators ist seit der Verhaftung des Pastors Baumtrog verwaist. Die Seminare sind aufgelöst.
Die Seelenzahl in den katholischen Gemeinden betrug noch vor 2 Jahren rund 55 000. Zurzeit sind davon noch etwa 20% vorhanden. Diese Abnahme ist zurückzuführen auf die allgemeine Entvölkerung des Landes. Auf dem flachen Lande herrscht der Hunger und zwar in den Kollektivwirtschaften noch stärker als bei den Einzelbauern. Es hat daher eine Abwanderung hauptsächlich nach den Städten, nach Baku, Taschkent, Pokrowsk, Pensa, Samara u.s.w eingesetzt. Die Bauern, die noch ein Pferd hatten, verdienen sich in der Stadt durch Fahrten ihren Unterhalt.
 
Von den deutschstämmigen katholischen Priestern aus der Wolgarepublik sind weitaus die meisten verhaftet und verschickt. Zehn deutschstämmige Priester sind auf die Solowezki-Inseln verbannt, dreizehn andere sind verschickt.
Zurzeit sind in der Wolga-Republik noch vier deutschstämmige katholische Geistliche tätig, nämlich:
Pater BADER in Louis (Kanton Marienthal), 36 Jahre alt.
Pater HERMANN in Saratow, 48 Jahre alt.
Pater DIETRICH in Preuss (Kanton Seelmann), 33 Jahre alt.
Pater BRUNGART, Michael, in Hildmann, 58 Jahre alt.
Ausserdem leben in der Wolga-Republik noch:
Pater SCHNEIDER in Leichtling, 80 Jahre alt,
Pater BACH, Peter, in Neu-Obermonjou, 78 Jahre alt.
Wegen ihres hohen Alters können sie kaum mehr eine geistliche Tätigkeit ausüben.
Hervorzuheben ist, dass diese Geistlichen alle aus dem Seminar in Saratow hervorgegangen sind. Die Priester, die ihre Ausbildung ausserhalb Russlands empfangen haben, sind alle verhaftet oder verschickt.
In Saratow besteht auch eine polnische Gemeinde, jedoch ohne Geistlichen. Sie wird durch Pater Hermann versorgt. Ausserdem lebt dort ein russischer römisch- katholischer Geistlicher, namens Anissimow, der erst kürzlich 6 Monate in Haft war.
Geistlicher Nachwuchs kann unter den gegenwärtigen Verhältnissen nicht herangebildet werden. Für das geistliche Amt ist zur Zeit ein einziger Kandidat vorhanden, er heisst  M O D E L , Alexander, ist 36 Jahre alt, und hat früher das kleine Seminar in Saratow und von dem grossen Seminar zwei Kurse absolviert, hat aber die Weihen nicht empfangen, sondern sich später verheiratet. Zur Zeit ist er in einem Kollektiv in Basa, Kanton Marxstadt, tätig. Er hat seine Studien privat fortgesetzt und will sich jetzt zum Priester weihen lassen. Seine Frau ist damit einverstanden. Es muss jedoch zunächst die kirchliche Dispens vom Band der Ehe von Rom eingeholt werden. Bisher war es aber auch nicht möglich, mit Rom in Verbindung zu treten.
Leben und Arbeit erfordern von den katholischen Priestern der Wolga-Republik grosse Charakterstärke. Sie sind ganz auf sich allein gestellt. Sie haben keinen Administrator, niemanden, der ihnen Weisungen gibt und niemanden, von dem sie Entscheidungen einholen können. Von der Verbindung mit der kirchlichen Hierarchie sind sie vollkommen abgeschnitten. Sie können sich mit niemanden über die Entwicklung und über ihre Sorgen aussprechen. Jeder von ihnen war schon kürzere oder längere Zeit verhaftet. Aber sie halten aus.
Der Ausübung des geistlichen Amtes stehen in der Wolga-Republik die gleichen Schwierigkeiten wie anderwärts entgegen. Die 4 Geistlichen müssen, um einigermassen das kirchliche Leben aufrechtzuerhalten, im Fuhrwerk von Gemeinde zu Gemeinde fahren. Auf dem Lande ist es wegen der fast völligen Kollektivierung schwierig, ein Fuhrwerk zu bekommen. Wer den Geistlichen fährt, setzt sich leicht Unannehmlichkeiten aus. In der Stadt ist es verhältnismässig leichter, ein Fuhrwerk auch zu Fahrten über Land zu mieten.
Das Einkommen der Geistlichen ist völlig ungewiss. Sie leben von den Almosen der Gemeinde. Im letzten Jahr ist aber die Lage aller Bewohner so schlecht geworden, dass niemand mehr nennenswert zum Unterhalt der Priester beitragen kann.
Die steuerliche Belastung der Kirche und der Geistlichen ist so hoch, dass die nötigen Beträge nicht aufgebracht werden können. In Saratow hat die Gemeinde seit 2 Jahren keine Steuer mehr bezahlt. Trotzdem ist die Kirche nicht weggenommen worden.
Ueberhaupt ist im letzten Jahr in dieser Frage eine etwas nachsichtigere Behandlung festzustellen. Sie beruht wohl darauf, dass man der Kirche keine besondere Widerstandskraft mehr zutraut.
Das religiöse Leben steht trotz aller Schwierigkeiten in Blüte. Es ist sogar vielfach besser als früher. In den einzelnen Gemeinden sind nur ganz wenige Mitglieder aus der Kirche ausgetreten und betätigen sich in antireligiösem Sinne.
Eine religiöse Erziehung der Jugend durch den Geistlichen ist auch in der Wolga-Republik unmöglich. Da der Katechetenunterricht an Minderjährigen verboten ist, kann eine gewisse religiöse Erziehung nur durch das Elternhaus und durch die Predigt vermittelt werden. Trotzdem sind nur ganz wenige Jugendliche beim kommunistischen Jugendverband.
Die vorstehenden Mitteilungen sind von zuverlässiger Seite gemacht worden. Um ihre streng vertrauliche Behandlung darf gebeten werden.
 
1932

Auswahl
Dokument Nr. 54

5. Hilfsdiplomatie, Kommunikationswege und Vermittler

Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (PA AA),
R 61670

Datum: 13. Mai 1933
Verfasser: Lamm, Deutsches Generalkonsulat in Polen, Posen
Empfänger: Auswärtiges Amt
Inhalt: Das Deutsche Generalkonsulat in Polen 1933 erbittet vom Auswärtigen Amt die Einreiseerlaubnis nach Deutschland für zwei evangelische deutsche Kantoren, die von Sowjetrussland nach Polen geflohen waren, um sie vor einer Abschiebung in die Sowjetunion zu bewahren.
Deutsches Generalkonsulat Polen.
 
Posen, den 13. Mai 1933.
2. Durchschläge.
3. Anlagen.
 
Unter Bezugnahme auf den an die Deutsche Gesandtschaft in Warschau gerichteten Erlass des Auswärtigen Amts vom 28. Januar d Js.  [diesen Jahres] – Nr. VI A 165 – und den Bericht des Generalkonsulats an die Deutsche Gesandtschaft in Warschau vom 14. Februar d. Js. [diesen Jahres] – J. Nr. 343/33 - , der in Abschrift beigefügt ist.
Betrifft: Zwei aus Russland geflohene evangelische Kantoren.
 
Die polnischen Behörden haben nunmehr den beiden aus Russland geflohenen evangelischen Kantoren Friedrich und Ruben  N e u m a n n  eine Ausweisungsverfügung zugestellt, nachdem sie zunächst 10 Tage wegen unerlaubten Aufenthalts in Polen in Haft genommen waren. Die hiesige Burgstarostei hat den Leiter des Verbandes für Innere Mission, der sich der Angelegenheit der Gebrüder Neumann energisch angenommen hat, erklärt, dass er angesichts der Deutschstämmigkeit der beiden Kantoren keinen Anlass habe, ihnen Aufenthaltsgenehmigungen zu erteilen; sie müssten wieder nach Russland abgeschoben werden.
Da eine solche Abschiebung für die Genannten den sicheren Tod bedeuten würde, ist der Verband für Innere Mission auf dem Generalkonsulat mit der dringenden Bitte vorstellig geworden, für die Gebrüder Neumann die Einreiseerlaubnis nach Deutschland erwirken zu wollen. Es ist dafür gesorgt, dass die beiden Kantoren dort der Armenpflege nicht zur Last fallen würden. Wie aus dem beigefügten Schreiben des Missionsbundes „Licht im Osten“ hervorgeht, erklärt sich dieser bereit, für sie zunächst für ein Jahr Aufenthalt und Unterhalt zu gewähren.
Da die Gebrüder Neumann einwandfrei deutschstämmig sind, ausserdem das hiesige Konsistorium wie auch der Landesverband für Innere Mission jede Gewähr für ihre persönliche und politische Zuverlässigkeit übernehmen, bitte ich angesichts der besonderen Lage des Falles, mich zur Erteilung der Einreisegenehmigung der Gebrüder Neumann nach Deutschland zwecks Übersiedlung nach Wernigerode a/H. ermächtigen zu wollen.
Ein Schreiben des Landesverbandes für Innere Mission über die Einzelheiten des Falles Neumann ist beigefügt.
Da die politischen Behörden für die nächsten Tage den zwangsweisen Rücktransport nach Russland ins Auge gefasst haben, bitte ich um telegraphische Weisung.
Die Gesandtschaft in Warschau erhält Abschrift.
 
I.V.
 
gez. Lamm

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Dokument Nr. 55

5. Hilfsdiplomatie, Kommunikationswege und Vermittler

Archiv des Deutschen Caritasverbandes e. V. (ADCV),
R 681,
Fasz. 01

Datum: 26. August 1933
Verfasser: Rektor der Caritas in Vertretung für den Direktor, Prälat Wienken
Empfänger: Erzbischof Bertram
Inhalt: Die Bildung des Reichsausschusses „Brüder in Not“ aus der Arbeitsgemeinschaft der kirchlichen Organisationen Caritasverband, Innere Mission und Weltorganisation der Mennoniten durch Einbeziehung einiger Ministerien und anderer Organisationen wie dem Verein für das Deutsche Volkstum im Ausland (VDA) ab 1933.
26. August 33.
 
Sr. Eminenz
dem hochwürdigsten Herrn Kardinal
Dr. Adolf  B e r t r a m
Erzbischof von Breslau.
z.Z. Fulda
 
 
Ew. Eminenz
 
erlaubt sich der Unterzeichnete als Vertreter von Herrn Prälaten Wienken, der sich z.Z. auf ärztlichen Rat hin einer Kur unterzieht, zur Beantwortung des Briefes vom 25. August 1933 Folgendes gehorsamst darzulegen:
Etwa seit dem Herbst vorigen Jahres wurden vor allem von den drei grossen kirchlichen Organisationen Caritasverband, Innere Mission und Weltorganisation der Mennoniten in grösseren Umfange Pakete an hungernde Glaubens- und Volksgenossen in Rußland geschickt. Nach dem politischen Umbruch in Deutschland wurde im Frühjahr 1933 die Arbeitsgemeinschaft der genannten Verbände durch den Hinzutritt der Vertreter einiger Ministerien und anderer Organisationen (z.B: V.D.A.) mit  b e r a t e n d e r   Stimme erweitert und erhielt den bewährten Namen: Reichsausschuß „Brüder in Not“. Dieser Reichsausschuß ist also eine rein caritative Einrichtung. Die Beteiligung der verschiedenen Ministerien soll aus vornehmlich außenpolitischen Gründen der Öffentlichkeit überhaupt nicht bekannt werden.
Ziel der Arbeit des Reichsausschusses ist, den notleidenden Deutschen, resp. Deutschstämmigen im Auslande, zu Hilfe zu kommen; bis auf geringe Teile der eingehenden Spenden werden fast alle für die schlimmste Not, die der Hungernden in Rußland, verwendet. Seit Beginn der Sammlungsaktion des Reichsausschusses „Brüder in Not“ im Juni 1933 sind – soweit bei der federführenden Stelle, dem Deutschen Roten Kreuz, bekannt – bis zum 25. August etwa 650 000,-M eingekommen. (Eine Sammlung von Naturalien und Kleidungsstücken wäre zwecklos, da Sendungen dieser Art von Rußland abgelehnt werden.) Es ist bestimmt anzunehmen, daß die tatsächlichen Ergebnisse noch höher sind, jedoch noch nicht gemeldet wurden.
Alle Spenden sollen möglichst auf das gemeinsame Konto überwiesen werden (Reichsausschuß „Brüder in Not“, Berlin, 85 000.), doch dürfen laut Vereinbarung auch die drei oben genannten kirchlichen Organisationen ihre besonderen Konten angeben. (Für die Katholiken: Deutscher Caritasverband, Hauptvertretung Berlin, Berlin 106 784). An sich ist es gleich, auf welches Konto Einzahlungen erfolgen, da alle einlaufenden Gelder untereinander verrechnet werden.
Für die Verteilung der Sammelerträge gilt folgende Regelung: Schätzungsweise leben noch etwa eine Million Deutschstämmige in Rußland, davon sind über 60% evangelisch, 15-20% katholisch, 15% Mennoniten, der Rest Baptisten, Pfingstbrüder usw. Nach Abzug der geringen Aufwendungen für die notleidenden Deutschen in der Tschechoslowakei werden alle einlaufenden Gelder so verteilt, daß das Evangelische Hilfswerk „Brüder in Not“ 60% erhält, der Caritasverband für die Katholiken 20%, die Mennoniten 15%. Die restlichen 5% verteilt das Deutsche Rote Kreuz unter Angehörigen der übrigen Bekenntnisse. Sollte ein Verband durch sein Sonderkonto mehr Geld erhalten, als ihm prozentmässig von dem Gesamteingängen zusteht, wird ihn selbstverständlich nicht zugemutet, dass er den Überschuss etwa auf das gemeinsame Konto abführt. Gerade aus dieser Regelung der Verteilung des Spendenertrages ergibt sich deutlich der rein caritative Charakter des Reichsausschusses „Brüder in Not“.
Bezüglich eines von Ew. Eminenz erwogenen Kollekten-Aufrufes der hochwürdigsten Herren Bischöfe darf ich mir wohl erlauben, zunächst einige Gründe anzuführen, die dagegen sprechen würden:
Bisher ist bei uns nur ein verhältnismässig geringer Teil der Anschriften der deutschstämmigen Katholiken in [der] Sowjetunion bekannt. Die Not im eigenen Lande ist gross, auch sind zu ihrer Behebung die meisten in Arbeit Stehenden mit Abgaben und Spenden reichlich belastet. Ferner besteht durchaus die Möglichkeit, dass eines Tages alle Hilfswege durch die Russen gesperrt werden. Schon seit Wochen wird durch die Zeitungen und Radiosender in Russland gegen die Sammlungsaktion in Deutschland protestiert. Des öfteren kommt es vor, dass die Annahme von Geldsendungen –  z w e i f e l l o s  unter dem Druck der Sowjetbehörden – verweigert wird. Doch dürften diese und andere Gründe reichlich aufgewogen werden durch folgende: Der Not im eigenen Lande steht die äusserste – leibliche und seelische – Not der Menschen in der UdSSR gegenüber. Selbst nach den vorsichtigsten Urteilen wirklicher Kenner der Lage sind seit dem Herbst vorigen Jahres mehrere Millionen Menschen in den Sowjetrepubliken verhungert. Im Reichsausschuss „Brüder in Not“, dem vertraulich die Berichte der diplomatischen Vertretungen Deutschlands in Rußland zugeleitet werden, ist man der wohlbegründeten, festen Meinung, daß die Hungerkatastrophe in den betroffenen Gebieten keineswegs geringer sein wird. Je stärker der Druck der öffentlichen Meinung – in Deutschland und in der ganzen Welt – wird, umso weniger ist eine Verhinderung jeglicher Hilfe für die Hungernden durch die Sowjetbehörden zu erwarten. Eine allzu starke Zurückhaltung gegenüber der Not der Glaubensbrüder dürfte auch den deutschen Katholiken auf die Dauer nicht zum Vorteil gereichen. Mit der Bitte um vertrauliche Behandlung kann ich mitteilen, daß seit dem Dezember 1932 bis heute auf das Konto des Caritasverbandes nur etwa 7000,-M eingezahlt worden sind. Gerade in den letzten Wochen liefen allerdings sowohl Spenden als auch Anschriften in größerem Umfange ein.
Nach diesen kurzen Darlegungen glaube ich Ew. Eminenz versichern zu dürfen, daß ein Aufruf des hochwürdigsten Episkopates vom Deutschen Caritasverband, aber auch von weiten Kreisen der katholischen Bevölkerung dankbar begrüßt würde.
Zugleich erlaube ich mir, Ew. Eminenz einen Artikel „Brüder in Not“ aus der August-Nummer der „Caritas“ in der Anlage zu übersenden.
 
In ehrfurchtsvoller Ergebenheit
Ew. Eminenz
ganz gehorsamster
 
Caritasrektor.

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Dokument Nr. 56

5. Hilfsdiplomatie, Kommunikationswege und Vermittler

Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (PA AA),
Botschaft Moskau 373

Datum: 29. Dezember 1933
Verfasser: Henke, Deutsches Konsulat Kiev
Empfänger: Deutsche Botschaft Moskau
Inhalt: Die Verhaftung eines Sohns des evangelischen Geistlichen Göhring in Kiev 1933 und Spekulationen des dortigen Deutschen Konsulats über die Gründe dafür (unter anderem wird eine Beteiligung des Betroffenen am Engagement von „Brüder in Not“ genannt).
Kiew, den 29. Dezember 1933.
 
Inhalt: Verhaftung des deutschstämmigen Richard Göhring, Sohn des Pastors der evangelischen Gemeinde in Kiew.
 
Mit sicherer Gelegenheit
 
In der Nacht vom 25. zum 26. Dezember d.J. [diesen Jahres] ist der bei seinen Eltern wohnhafte Sohn des hiesigen evangelischen Pastors Göhring von der G.P.U. verhaftet worden. Gleichzeitig wurde eine Haussuchung durchgeführt, die anscheinend kein Ergebnis gezeitigt hat. Angeblich wollten die Beamten der G.P.U. auch den Pastor selbst festnehmen, konnten diese Absicht aber nicht ausführen, da er sich auf einer Dienstreise in den deutschen Kolonien in Wolhynien befand. Wie ich erfahre, hat sich die G.P.U. auch lebhaft für etwa in der Wohnung des Pastors vorhandene Valutabestände interessiert. Der verhaftete Richard Göhring war seit August d.J. [diesen Jahres] als ständiger Hauslehrer in meiner Familie tätig. Seine Anstellung erfolgte nach vorheriger Fühlungnahme mit dem Agenten des Aussenkommissariats, der mir versicherte, dass Göhring aus seiner Beschäftigung im Konsulat kein Nachteil erwachsen würde. Ausserdem hat er zeitweilig bei der Zusammenstellung der Listen der notleidenden Deutschstämmigen – und zwar durch Auszug von Namen und Adressen aus den mit der Sowjetpost eingehenden Bittbriefen – geholfen. Es handelte sich dabei um eine rein technische Arbeit, für die er sich als Kenner des wolhynischen Deutschtums während des grössten Ansturms der Gesuche zur Verfügung gestellt hat.
Eine Tätigkeit des Herrn Göhring beim Konsulat ausserhalb seiner Funktion als Hauslehrer liess unter den hiesigen Verhältnissen für alle Fälle eine Legitimierung gegenüber den Sowjetbehörden zweckmässig erscheinen. Sie erfolgte nach reiflicher Ueberlegung und mit seinem Einverständnis in der Form, dass er in den dem Agenten des Aussenkommissariats monatlich übersandten Aufstellungen der hier beschäftigten Arbeitskräfte nicht nur als ständiger Lehrer, sondern auch als vorübergehender Hilfsarbeiter im Kanzleidienst erwähnt wurde. Diese offiziellen Beziehungen zum Konsulat gaben mir die Möglichkeit, den Agenten des Aussenkommissariats am 27. Dezember d.J. [diesen Jahres] um Auskunft zu ersuchen, ob:
1) seine Verhaftung im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit im Konsulat bezw. in meinem Hause stünde,
2) wie lange die Festnahme voraussichtlich dauern würde, da ich danach entsprechende dienstliche und persönliche Dispositionen treffen müsste.
Der Agent hat mir nach 24 Stunden – wie zu erwarten – mitgeteilt, dass die Verhaftung nicht das Geringste mit der Arbeit des Göhring im Konsulat zu tun hätte, er vielmehr im Verdacht stünde, ein „ernstes Verbrechen“ begangen zu haben. Ueber weitere Einzelheiten äusserte sich Herr Schenschew nicht.
Die allgemeinen Gründe für die Verhaftung dürften meines Erachtens in der seit der Novembertagung des Plenums des Zentralkomitees und der Zentral-Kontrollkommission der Ukrainischen Kommunistischen Partei verschärften Einstellung gegen das Deutschtum in der Ukraine zu suchen sein, der Persönlichkeiten aus den Kreisen der Intelligenz als erstes zum Opfer fallen. Inwieweit auch die Tätigkeit des Göhring beim Konsulat Anlass zu der Massnahme gegeben hat, kann heute noch nicht festgestellt werden. Dass sie ihn in den Augen der Sowjetbehörden belastet, steht ausser Zweifel. Ueber dieses Risiko war er sich – ebenso wie alle anderen Sowjetbürger, die im Interesse ihrer Volksgenossen irgendwie an der Hilfsaktion „Brüder in Not“ mitwirken – von Anfang an durchaus klar.
Es ist ferner möglich, dass die Festnahme des jungen Göhring in Zusammenhang mit den Verhaftungen der Mitglieder der Familie Schultz (zu vergl. Bericht vom 30. November d.J. [diesen Jahres] VI.c.2) steht, mit denen er persönlichen Verkehr gepflogen hat. Auch andere Bekannte der Brüder Schultz befinden sich jetzt in Gewahrsam der G.P.U.
Schliesslich wird von Persönlichkeiten, die mit der Praxis der G.P.U. vertraut sind, auch die Ansicht geäussert, dass sich Göhring durch Gründung und Leitung eines Kirchenchors, der zum ersten Mal am Heiligen Abend bei überfüllter Kirche in Erscheinung trat, das Missfallen der G.P.U. zugezogen hat. Ueberhaupt ist anzunehmen, dass der Aufschwung, den die hiesige evangelische Gemeinde in den letzten Monaten unter ihrem Pastor genommen hat, von den Sowjet- und Parteistellen mit feindseligen Augen betrachtet wird. Hinzu kommt, dass Pastor Göhring in seinen Predigten einen bewunderungswerten Bekennermut – nicht nur zu dem Evangelium, sondern auch zu seinem Deutschtum – zeigt, der hier leicht als konterrevolutionär ausgelegt werden kann. Unter diesen Umständen muss man auch auf eine nachträgliche Verhaftung des Pastors gefasst sein.
Es ist natürlich sicher, dass die G.P.U. versuchen wird, von Göhring Einzelheiten über die Arbeit des Konsulats zu erfahren. Sie dürfte damit aber kein Glück haben, da Göhring darüber keine Angaben machen kann, ganz abgesehen davon, dass er es selbst peinlich vermieden hat, sich irgendwie für Konsulatsfragen zu interessieren. Auch eine etwa unter Druck der G.P.U.-Methoden mögliche Kompromittierung der deutschstämmigen Hilfsbedürftigen kommt nicht in Frage, da Göhring unmöglich die Tausenden von Namen behalten konnte, die im Übrigen den Sowjetbehörden durch den Eingang der Überweisungen aus Deutschland ohnehin bekannt werden, soweit sie darüber nicht schon durch das Spitzelsystem in den Kolonien unterrichtet sind. Ueber die Persönlichkeit des jungen Göhring ist zu sagen, dass er in Deutschland Theologie studiert hat, in der Absicht, sich hier als Geistlicher zu betätigen. Er ist ein charaktervoller, verantwortungsbewusster Mann, woran auch die Tatsache nichts ändert, dass er einer der loyalsten Sowjetbürger ist, die ich hier kennen gelernt habe. Er hat immer versucht, das hiesige System, unter dem er als rechtloser Pfarrerssohn besonders zu leiden hat, zu verstehen und – wenigstens Ausländern gegenüber – zu verteidigen. Jedenfalls haben weder meine Mitarbeiter noch ich jemals eine antisowjetische Aeusserung aus seinem Munde gehört. Von seiner Unschuld bin ich fest überzeugt. Ein Durchlag für das Auswärtige Amt wird beigefügt. Das Generalkonsulat in Charkow erhält mit sicherer Gelegenheit unmittelbar Abschrift dieses Berichts.
 
gez. Henke

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Dokument Nr. 57

5. Hilfsdiplomatie, Kommunikationswege und Vermittler

Politisches Archiv des Auswärtigen Amts (PA AA),
Botschaft Moskau 373

Datum: 14. Februar 1934
Verfasser: Deutsches Generalkonsulat Charkov
Empfänger: Deutsche Botschaft Moskau
Inhalt: Das Deutsche Generalkonsulat in Charkov erbittet vom Gustav-Adolf-Verein eine Überweisung für die Unterstützung evangelischer Pfarrer.
Deutsches Generalkonsulat, Charkow, den 14. Februar 1934
 
An die Deutsche Botschaft in Moskau
 
Geheim
 
 
Für die evangelischen Pfarrer, die dringend für die jetzt fälligen Steuern und sonstigen Ausgaben Beihilfen bedürfen, habe ich dem Centralvorstand des Gustav-Adolf-Vereins um Überweisung von 1500.- RM gebeten. Welche Pfarrer im einzelnen und mit welchen Beträgen bedacht werden, läßt sich jetzt noch nicht übersehen, weiterer Bericht hierüber darf daher vorbehalten bleiben.
 
[Unterschrift nicht lesbar]
 
 

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Dokument Nr. 58

5. Hilfsdiplomatie, Kommunikationswege und Vermittler

Politisches Archiv des Auswärtigen Amts (PA AA),
Botschaft Moskau 373

Datum: 4. April 1934
Verfasser: Nadolny, Deutsche Botschaft Moskau
Empfänger: Auswärtiges Amt
Inhalt: Die Deutsche Botschaft plädiert dafür, die kirchlichen Organisationen in der Sowjetunion und die „kulturellen deutschen Güter“ nicht aufzugeben und bittet um Unterstützungszahlungen für die katholischen und evangelischen Deutschen, um eine endgültige Vernichtung der Kirchen zu verhindern.
Deutsche Botschaft, Moskau, den 4. April 1934
An das Auswärtige Amt, Berlin.
 
Gleichzeitig mit den nachfolgenden Anforderungen von Mitteln für die deutsch-evangelische und deutsch-katholische Kirche in der Sowjetunion legt die Botschaft dem Auswärtigen Amt einen Bericht über die kulturpolitischen Anforderungen für das neue Rechnungsjahr vor, in dem auch das Gebiet der Kunst entsprechend dem seinerzeit übermittelten Berichtsschema behandelt worden ist. Mit Rücksicht darauf, dass die künstlerischen Angelegenheiten vom Reichsministerium für Aufklärung und Propaganda bearbeitet werden, geht der Bericht dem Auswärtigen Amt in 5 Exemplaren zu, wovon ich bitte, 2 Exemplare dem Propagandaministerium weiterzuleiten. Eine Teilung des Berichts empfahl sich nicht, da eine Anforderung von Mitteln für künstlerische Zwecke lediglich im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Deutschen Kunstgesellschaft gemacht worden ist.
Bevor ich die materiellen Wünsche ausspreche, deren Befriedigung ich zur Stützung der kirchlichen Interessen für erforderlich erachte, erscheint es mir notwendig, mit kurzen Worten die augenblickliche Lage der Kirche auf dem Gebiete der Sowjetunion zu umreissen:
Wenn die Botschaft in einem umfassenden Bericht vom 26.11.1932 E/603 sagen konnte, dass die Gewaltmassnahmen gegen die Kirche durch ein der Form nach milderes System abgelöst seien, nachdem die Kirche nicht mehr als unmittelbar staatsgefährliches Element in Betracht käme, so lässt sich diese Auffassung jetzt nicht mehr aufrechterhalten. Seit dem Herbst 1933 ist eine grössere Anzahl von Verhaftungen erfolgt, deren Höhepunkt die Festnahme des Propstes Birth in Charkow Mitte Januar d.J. [diesen Jahres] bildet. Propst Birth war neben den beiden Bischöfen in Moskau und Leningrad die Hauptstütze der evangelisch-lutherischen Kirche in der Union. Die Verhaftungen, die nicht allein in deutsch-stämmigen Kreisen, sondern auch in der polnischen und der russisch-orthodoxen Kirche vorgenommen wurden, zeigen nicht nur den unentwegten Entschluss der Sowjetregierung, die Kirche auszurotten, sondern auch das Bestreben, dies möglichst schnell zu erreichen. Soweit die Verhaftungen nicht damit zusammenhängen, dass den Betreffenden unerlaubter Verkehr mit dem Auslande zum Vorwurf gemacht werden konnte, passen sie in dem zweifellos vorhandenen Plan hinein, die Kirche und ihre Organisationen in einer bestimmten Zeit endgültig zu vernichten.
Die Stellung des Bischofs Malmgren in Leningrad scheint noch gesichert zu sein, zumal Botschafter Chintschuk wiederholt beruhigende Erklärungen hierüber abgegeben hat. Trotzdem trägt sich der Bischof ernstlich mit der Absicht, das Predigerseminar und damit seine eigene Stellung in Leningrad aufzugeben. Ich habe den Generalkonsul Sommer gebeten, auf Herrn Malmgren einzuwirken, um ihn zu veranlassen, die Schliessung des Seminars noch möglichst hinauszuschieben. Dabei scheint meine in dieser Angelegenheit erfolgte vorsichtige Fühlungnahme mit dem amerikanischen Botschafter Bullitt auf den Bischof nicht ohne Eindruck geblieben zu sein. Überhaupt ist die Frage, ob Bischof Malmgren aushält, [ist] naturgemäss engstens damit verbunden, ob es gelingt, die finanziellen Unterstützungen aufrechtzuerhalten und noch mehr als bisher diejenigen Staaten, deren kirchliche Organisationen mit ihm in Verbindung stehen, für die Aufrechterhaltung der Kirche in der Sowjetunion zu interessieren. Ähnliches gilt auch für die Persönlichkeit des Bischofs Meyer, obwohl dieser die Absicht, seine Stellung aufzugeben, noch nicht geäussert hat. Seine Gesundheit ist aber, besonders in der letzten Zeit seit der Verhaftung seines Sohnes, so zerrüttet, dass mit seinem völligen Ausscheiden als Präsident des Oberkirchenrats in Moskau jederzeit gerechnet werden muss.
Wenn die beiden Bischöfe ausfallen bezw. auswandern, wird die Möglichkeit der Erhaltung der evangelisch-lutherischen Kirche noch problematischer. Die Organisation wird dann in der bisherigen Form kaum aufrechterhalten werden können. Eine Ausnahme hiervon werden lediglich die grösseren Gemeinden in den grossen Städten bilden. Aber auch hierin machen sich neuerdings bedenkliche Anzeichen bemerkbar. So ist kürzlich der Vorsitzende des Kirchenrates der St. Petri-Pauli-Kirche in Moskau,  H e l m s , verhaftet worden. Ferner wurden in den letzten Monaten in der Provinz mehrere Küster verhaftet.
Bei der römisch-katholischen Kirche ist durch die Verhaftung von polnischen und deutschstämmigen Geistlichen das religiöse Leben ebenfalls stark in Mitleidenschaft gezogen.
Bei alledem wird aber nach aussen insofern der Schein gewahrt, als die bisher in Haft befindlichen Pastoren und Patres nach Abbüssung ihrer Strafe, teilweise sogar unter Anrechnung geleisteter Mehrarbeit, wieder in Freiheit gelassen werden. Allerdings dürfen sie fast niemals in ihre alten Kirchspiele zurückkehren, wozu die Bestimmungen des Passgesetzes eine Handhabe bieten. So bekommt Propst Wacker, der als Hauptlehrkraft am Leningrader Seminar beschäftigt war, neuerdings nicht die Erlaubnis, dort zu wohnen, sondern muss ausserhalb der 100-km-Zone bleiben, während seine Frau in Leningrad sich aufhalten darf.
In dieser Lage, die durch eine fortdauernde Verschlechterung der materiellen Lebensbedingungen der noch amtierenden Geistlichen ihre charakteristische Prägung erhält, ist das Problem der Unterstützungen naturgemäss von besonderer Bedeutung. Diese Unterstützungen müssen noch systematischer als bisher verteilt werden, wobei zwischen amtierenden Geistlichen und solchen, die nicht mehr im Amte bezw. verhaftet und verschickt sind, sorgsam zu unterscheiden ist. Für noch amtierende Pastoren wird eine regelmässige Zahlung in Aussicht genommen werden müssen. Da aber zur Begleichung der Steuerforderungen auch Rubelbeträge erforderlich sind, so werden der Botschaft und den konsularischen Vertretungen auch Beträge zur freien Verfügung überlassen werden müssen.
Das System der Torgsinsendungen durch Vermittlung des Internationalen Roten Kreuzes hat sich weiter bewährt. Auf diese Weise ist die Botschaft auch in der Lage, Angaben über den Aufenthaltsort der Geistlichen nachzuprüfen bezw. festzustellen, ob sie noch am Leben sind.
Wesentlich erscheint mir, dass die Gelder des Gustav Adolf-Vereins bezw. des Caritas-Verbandes lediglich auf dem Wege über die Botschaft bezw. über die zuständige konsularische Vertretung weitergeleitet werden, da ein unmittelbarer Schriftverkehr mit dem Auslande für die einzelnen Gemeinden Gefahren mit sich bringt.
Unter Berücksichtigung der konsularischen Anforderungen würde sich der für die Pflege des evangelischen Deutschtums im Jahre 1934 erforderliche Betrag auf RM 13 500.- errechnen. Die Verteilung ergibt sich wie folgt:
 
Moskau RM 5 000.
Leningrad erhält unmittelbar Unterstützungen
CharkowRM1 500
Tiflis "  3 000
Odessa "  1 500
Kiew "  1 500
Wladiwostok "  1 500
Hiermit ist zu bemerken, dass der für Moskau und Tiflis im vergangenen Jahre angeforderte Betrag nicht überwiesen worden ist. Kiew hat von dem obenangeforderten Betrag bereits 900.- RM erhalten, so dass nur noch 600.- RM erforderlich sind. Die Zahlung nach Wladiwostok ist mit Rücksicht auf die Notlage der dortigen Kirche besonders dringend, so dass gebeten wird, jedenfalls einen Teilbetrag sofort dorthin zu überweisen.
Für die deutsch-katholische Kirche möchte ich unter Berücksichtigung der überaus bedrängten und gänzlich isolierten Lage auch der amtierenden Geistlichkeit einen Betrag von RM 6 000.- zur Verfügung der Botschaft und "1 500.-" des Konsulats in Odessa erbitten. Indem ich die Bewilligung dieser Beträge dringend befürworte, möchte ich nochmals auf den ausserordentlichen Ernst der Lage hinweisen, in der sich die deutschstämmige Kirche in der Sowjetunion heute befindet.
Es scheint, dass diese Lage hoffnungslos ist. Aber die Verantwortung, die auf uns fiele, wenn wir die kirchlichen Organisationen und damit einen Teil der kulturellen deutschen Güter hier ohne Kampf preisgäben, ist so gross, dass ihr gegenüber alle sonstigen Erwägungen zurücktreten müssen.
 
gez. Nadolny

Auswahl
Dokument Nr. 59

5. Hilfsdiplomatie, Kommunikationswege und Vermittler

Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (PA AA),
Botschaft Moskau 373

Datum: 22. August 1934
Verfasser: Roediger, Auswärtiges Amt
Empfänger: Deutsche Botschaft in Moskau
Inhalt: Da „Brüder in Not“ nicht mehr in der Sowjetunion wirken darf, ist die Deutsche Botschaft Moskau auf der Suche nach anderen Wegen für die Versendung von Hilfslieferungen an Betroffene. Bei individuellen Lieferungen bestehe für die Empfänger die Gefahr von Verfolgung.
Auswärtiges Amt
Berlin, den 22. August 1934
An die Deutsche Botschaft in Moskau
 
Geheim.
 
Nachdem die Maßnahmen der Sowjetregierung die Fortsetzung des Hilfswerks „Brüder in Not“ und die bisherige Tätigkeit der Gesellschaft Fast & Co. unmöglich gemacht haben, ist von den beteiligten Verbänden erörtert worden, in welcher Weise künftig noch eine Hilfsaktion möglich sei. Es besteht darüber Klarheit, daß einstweilen nur der Weg der Einzelsendung durch Vermittlung des Torgsin offen steht und daß alles vermieden werden muss, was den Anschein eines zentral organisierten Hilfswerks erweckt. Es wird sich in der nächsten Zeit darum handeln, Erfahrungen zu sammeln, inwieweit die Einzelsendungen den Empfänger erreichen und ob sie ihm politisch schaden. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, daß das hiesige Intourist-Büro noch in den letzten Tagen, an zahlreiche früher mit dem Hilfswerk befaßte Persönlichkeiten Torgsin-Reklameprospekte versandt hat, in denen dafür geworben wird, dieser „vorzüglich arbeitenden Organisation“ Aufträge anzuvertrauen. In der gleichen Richtung geht ein Schreiben des hiesigen Vertreters der Staatsbank der UdSSR an das Reichsbankdirektorium, in dem, nach Ablehnung der Organisation „Brüder in Not“ und Fast & Co. ausdrücklich erklärt wird, daß: „An Sie gegebenenfalls eingehende Überweisungs-Aufträge seitens einzelner Auftraggeber können von Ihnen selbstverständlich entgegengenommen werden.“
Die an dem bisherigen Hilfswerk beteiligten Kreise haben Verständnis dafür gezeigt, daß bei der weiteren Bearbeitung der Angelegenheit nach Möglichkeit alle politischen Störungsmomente ausgeschaltet werden müssen. Es ist weiterhin beabsichtigt, die Versuche von Einzelsendungen auf dem Bankwege zunächst in kleinem Rahmen zu halten, um erst einmal Erfahrungen zu sammeln und die vorhandenen Mittel für die erst später zu erwartende Verschärfung der Notlage tunlichst zu schonen.
Die beteiligten Kreise haben das Auswärtige Amt um eine Äußerung gebeten, in welchem Rahmen auf Grund der neuen Verhältnisse die bisherige wertvolle Mitwirkung der Botschaft und der Konsulate fortgesetzt werden kann. Es wurde hierzu bemerkt, daß diese Mitarbeit fast unersetzlich sei, daß aber auf der anderen Seite Fälle bekannt geworden seien, in denen sich notleidende Deutsche durch ihre Verbindung mit dem Konsulat Verfolgungen ausgesetzt hätten.
Für einen Bericht über die dortige Auffassung wäre ich dankbar.
 
Im Auftrag
[Unterschrift] Roediger

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Dokument Nr. 60

5. Hilfsdiplomatie, Kommunikationswege und Vermittler

Erzbischöfliches Archiv München (EAM),
Bestand: NL Faulhaber,
Signatur: 9780

Datum: 15. Januar 1935 (mit Bezug auf Schreiben vom 4. Februar 1935, 5. Februar 1935 und 21. Mai 1935 )
Verfasser: Roth, Deutsches Konsulat, Odessa
Empfänger: Deutsche Botschaft in Moskau
Inhalt: Das deutsche Konsulat in Odessa berichtet der Deutschen Botschaft in Moskau im Januar 1935 über das in einem Schauprozess über den Deutschen Röhrich aus Strassburg verhängte Todesurteil. In der Anlage ein Artikel in einer sowjetischen Zeitung darüber.
Abschrift
Deutsches Konsulat Odessa, den 15. Januar 1935
An die Deutsche Botschaft M o s k a u
 
Betr.: Repressalien wegen des Empfangs von Überweisungen aus Deutschland
 
Aus der Kolonie Strassburg, Rayon Selz, Gebiet Odessa, ist inzwischen ein weiteres Todesurteil gegen einen Kolonisten bekannt geworden, der für andere Personen Bittbriefe an das Hilfswerk „Brüder in Not“ geschrieben hat. Es handelt sich um den Kolonisten Michael Röhrich, der mit seiner Frau und seiner ältesten Tochter von 17 Jahren Anfang Januar in Strassburg vor ein sogenanntes Schaugericht gestellt und nach dreitägiger Verhandlung verurteilt worden ist. Er selbst wurde zum Tode verurteilt, die Frau zu 7 ½ Jahren Gefängnis, die Tochter wurde freigesprochen. Alle drei waren Mitglieder des örtlichen Kollektivs. Die Verurteilten sind nach Odessa gebracht worden, das Urteil ist noch nicht vollstreckt. Röhrich hat, einschliesslich der erwähnten Tochter, 7 Kinder.
Über die Tendenz des Schaugerichts unterrichtet das hierbei verbreitete in der Anlage beigefügte Flugblatt.
Röhrich und seine Frau haben auch auf dem hiesigen Konsulat Bittbriefe abgegeben, sind aber persönlich hier nicht bekannt. Das Konsulat ist in diese Verhandlungen auch nicht hineingezogen worden.
Angaben in dieser Angelegenheit sind dem Konsulat u. a. durch den in Strassburg ansässigen reichsdeutschen Graf gemacht worden. Graf wird, da er sich in kümmerlichen Verhältnissen befindet, vom Konsulat gelegentlich durch Torgsinüberweisungen unterstützt. In den Tagen der Gerichtsverhandlung gegen Röhrich ist Graf von mehreren Sowjetfunktionären, darunter dem die Anklage gegen Röhrich vertretenden Prokuror aus Selz, wegen der Unterstützung durch das Konsulat zur Rede gesetzt und ihm nahegelegt worden, hierauf zu verzichten. Es wurde ihm sogar eine zur Veröffentlichung bestimmte entsprechende Erklärung zur Unterschrift vorgelegt und ihm versprochen, ihm sofort 1 Pud Weizen und späterhin Steuererleichterungen zu geben. Graf hat jedoch alle diese Vorschläge abgelehnt. Doch bitte ich, von den Graf betreffenden Angaben des vorstehenden Berichts keinen Gebrauch zu machen.
 
gez.: R o t h.
 
 
[Anlage:]
S o n d e r a u f g a b e  der „Kollektivwirtschaft“  
Nr. 2
5. Januar 1935
 
Keine Verschonung den Feinden und Verrätern des sozialistischen Vaterlandes.
 
Der Prozess der Errichtung einer sozialistischen klassenlosen Gesellschaft geht in unserem Lande mit gigantischen Schritten vorwärts. Die kapitalistischen Elemente in unserer Volkswirtschaft sind schon fast gänzlich verdrängt. Sie spielen absolut keine Rolle mehr. Der Sozialismus siegt!
Die absterbenden Klassen aber, ihre Nachläufer und kontrarevolutionäre Elemente, welche noch nicht gänzlich vernichtet sind, suchen in ihren letzten Atemzügen noch Widerstand zu leisten – den Sozialistischen Aufbau zu untergraben.
Im Kampfe gegen die Diktatur des Proletariats – den Sozialismus, vereinigten sich die inneren klassenfeindlichen Elemente mit der äusseren Konterrevolution und Intervention, von welchen der deutsche Faschismus die Hauptrolle spielt.
Der Hitlerfaschismus bereitet sich energisch zu einem neuen Krieg vor, wobei man in erster Linie eine Intervention gegen die Sowjetukraine im Ziele hat.
Um seine Position zu stärken und eine Vorbereitungsarbeit zu leisten, sucht der Hitlerfaschismus in der Ukraine seine Agenten zu finden. Diese Agenten sucht er durch seine gültigen Hitlermarken zu kaufen. Diese Marken werden dem deutschen Proletariat abgezwackt, welches hungert und in den Konzentrationslagern des Faschismus schmachtet.
Heute gibt es in dem Hitlerdeutschland zirka 10 Millionen Arbeitslose.
Die Hitleragenten, welche sich in verschiedenen Anstalten und Kollektiven auch unseres Rayons verkrochen haben, schreiben Lügenbriefe über „Hungersnot“ und dergleichen bei uns. Sie verläumden [verleumden] dadurch unser sozialistisches Vaterland und sind somit Feinde aller Werktätigen.
Jeder, der eine Hitlermark annimmt, ist unser Feind – ist ein Hitleragent.
Ein solcher Hitleragent ist Röhrich Michael aus Strassburg. Dieser Feind der werktätigen Klasse, Verräter des sozialistischen Vaterlandes, schrieb im Jahre 1934 für 150-200 Mann über 500 Lügenbriefe an verschiedene faschistische Organisationen nach Deutschland, Polen u.a., in welchen er um „Hilfe“ bat.
Für jeden solchen Brief nahm Röhrich von 50 Kop. bis zu 1.50 Kop. Ausser ihm selbst schrieb solche Briefe seine Frau und seine Tochter Maria.
In diesen Briefen wurde die Sowjetunion aufs schärfste verleumdet und verschiedene Lügen über Hungersnot und Elend erdichtet.
Röhrich Michael mit seiner ganzen Familie ist ein zersetztes Element, welcher das Kollektiv zu untergraben bestrebt war, Kollektiveigentum gestohlen hat usw.
So hat Röhrich im Kollektiv „Neue Wirtschaft“ im Laufe des Jahres 1934 über 50 Pud Getreide gestohlen. Mit Röhrich Michael zusammen bei der Untergrabung des Kollektivs Anteilnehmer am Getreidediebstahl war der Brigadier der 1. Brigade Fischer Franz, Fischer Josef, Weimer H., Gehilfe des Brigadiers und Klein Jakob, Fuhrmann. Diese Bande mit Röhrich M. an der Spitze arbeitet systematisch an der Untergrabung des Kollektivs und führte konterrevolutionäre faschistische Agitation unter den Kollektivisten.
Heute verhandelt das Ausfahrtskollegium des Gebietsgerichtes die Angelegenheit dieser Feinde und Verräter des sozialistischen Vaterlandes.
Die proletarische Sowjetöffentlichkeit verlangt für diese Bande höchstes Ausmass des sozialen Schutzes.
Vernichten wir alle klassenfeindliche und konterrevolutionäre Elemente, welche unseren sozialistischen Aufbau zu untergraben suchen.
Heraus aus unseren Kollektiven und Anstalten mit allen klassenfeindlichen Elementen und Hitleragenten!
Es lebe die Diktatur des Proletariats und der Sieg des Sozialismus auf der ganzen Welt!
 
Ravlit Nr. 4. Auflage 300 Exp. Druckerei „Kollektivwirtschaft“ Selz
Redakteur W. Brandt.
 

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