Konfessionelle Netzwerke der Deutschen in Russland 1922–1941
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Dokument Nr. 39
4. Die große Hungersnot 1932/33
Segreteria di Stato, Sezione per i Rapporti con gli Stati, Archivio Storico (S.RR.SS.),
Congregazione degli Affari Ecclesiastici Straordinari (AA.EE.SS.),
Pro Russia (1932-1935),
Pos. Scat. 11,
Fasc. 74,
Fol. 31r-32r
Datum: 18. März 1933
Verfasser:
Heinrich Wienken
Empfänger:
Dr. Müller, Catholica Unio
Inhalt:
Wienken, Direktor des Deutschen Caritasverbandes, Berlin, berichtet der Catolica Unio, München, im März 1933 über das Vorhaben des Auswärtigen Amtes, die Deutschen in der Sowjetunion durch den Verkauf von Weizen, der derzeit in Südrussland lagert, vor einer Hungersnot zu bewahren. Er bittet um finanzielle Unterstützung und um weitere Hilfe.
A b s c h r i f t .
DEUTSCHER CARITASVERBAND
Berlin, den 18. März 1933
Hauptvertretung
Sr. Hochwürden
Herrn Direktor D r . M ü l l e r
C a t o l i c a U n i o
Vertraulich.
München
Sehr verehrter, lieber Herr Doktor!
Es werden auch Ihnen dort in München in letzter Zeit Briefe aus Russland vorgelegt worden sein, aus denen zu ersehen ist, dass sich die Hungersnot in Russland immer weiter ausbreitet und zum Teil schon aufs Höchste gesteigert wurde. Wie uns aus amtlichen Berichten bekannt ist, setzt jetzt bereits ein Massensterben ein. Die ungeheure Not kann durch die Entsendung von wenigen Lebensmittelpaketen selbstverständlich nicht behoben werden. Es ist darum auch Meinung des Auswärtigen Amtes, dass Mittel und Wege gefunden werden müssen, in wirksamerer Weise mit der Hilfsaktion einzusetzen.
Vertraulich macht nun das Auswärtige Amt folgenden Vorschlag: In Süd-Russland lagern grössere Mengen Getreide, die Deutschland auf Grund von Handelsverträgen von Russland übernehmen muss. Deutschland selbst hat nun im Augenblick keine Verwendung für dieses Getreide und ist bereit, etwa 25 000 to zu Gunsten der hungernden deutschstämmigen Bevölkerung in Russland zur Verfügung zu stellen. Freilich kann die deutsche Regierung angesichts der augenblicklichen politischen Verhältnisse das Getreide nicht umsonst geben. Der Preis der 25 000 to beträgt etwa 1,5 Millionen Mark. Es wird erwartet, dass der Reichsfinanzminister von dieser Summe etwa 500 000.- Mark aus Reichsfinanzmitteln geben kann. Eine Million Mark müsste demnach anderweitig aufgebracht werden. Es hat nun die Mennonitische Religionsgemeinschaft bereits in Aussicht gestellt, 400 000.-. Mark zu geben, die gleiche Summe will die Protestantische Kirche geben. Von den Katholiken wird nun erwartet, dass sie den Rest von 200 000.- Mark aufbringen. Ich habe dieserhalb bereits nach Rom geschrieben und gebeten, dass von dort aus geholfen wird. Angesichts der schwierigen finanziellen Verhältnisse, die auch in Rom, beim Vatikan herrschen, habe ich einige Zweifel, ob uns 200 000.- Mark gegeben werden können. Das Geld braucht allerdings erst nach 5 Jahren gezahlt werden. Ich habe in dieser Angelegenheit auch bereits an die Zentrale des Deutschen Caritasverbandes in Freiburg geschrieben und dort angefragt, ob der Regierung eine Zusage gegeben werden könnte, dass der Deutsche Caritasverband innerhalb der nächsten 5 Jahre den Betrag von 200 000.- Mark zahlen könnte. Die Antwort von Freiburg steht noch aus.
Ich möchte, sehr verehrter Herr Doktor, Ihnen von dieser Angelegenheit heute vertraulich Mitteilung machen. Vielleicht überlegen auch Sie einmal, wie wir die Schwierigkeiten, diese 200 000.- Mark zu beschaffen, überwinden können.
Es ist seitens des Auswärtigen Amtes zugesagt worden, dass von dem zur Verfügung gestellten Getreide die deutschstämmigen Bewohner in Russland tatsächlich eine wirksame Hilfe erhalten, sodass sie bis zur nächsten Ernte aushalten können. Auf den Kopf der notleidenden Bevölkerung soll 1 Zentner Getreide entfallen. Auch ist eine Garantie dafür gegeben, dass die Sowjetbehörden die Verteilung des Getreides durch irgend welche Machenschaften nicht verhindern. Es wäre somit ein grosses Liebeswerk, das wir ausführen, wenn wir auch katholischerseits mithelfen. Schätzungsweise sind in Russland noch etwa 900 000 – 1 Million Deutschstämmige, darunter etwa 150 000 Katholiken.
Über die weitere Entwicklung dieser Angelegenheit werde ich Ihnen wieder nähere Mitteilung geben, sobald ich aus Rom eine Rückantwort habe.
Mit freundlicher Begrüssung!
gez. Wienken
Direktor.
Empfohlene Zitierweise:
Dokument Nr. 39, in:
Konfessionelle Netzwerke der Deutschen in Russland 1922-1941. Quellen-Datenbank.
Hrsg. von Katrin Boeckh und Emília Hrabovec. URL:
http://www.konnetz.ios-regensburg.de/dokumenteview.php?ID=39
, abgerufen am: 03.10.2024.
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