Konfessionelle Netzwerke der Deutschen in Russland 1922–1941

Quellen-Datenbank

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Dokument Nr. 6

1. Die russlanddeutschen Geistlichen in der internationalen Diplomatie

Segreteria di Stato, Sezione per i Rapporti con gli Stati, Archivio Storico (S.RR.SS.),
Congregazione degli Affari Ecclesiastici Straordinari (AA.EE.SS.),
Russia (1922-1937),
Pos. 664 I P.O.,
Fasc. 62,
Fol. 4r-6r

Datum: 19. Dezember 1930
Verfasser: Deutscher Botschafter von Dirksen
Empfänger: Päpstliche Kommission Pro Russia, vermittelt von Deutscher Botschaft
Inhalt: Der Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten Litvinov teilt dem deutschen Botschafter von Dirksen auf dessen Nachfrage mit, dass die sowjetische Regierung in ihrer antireligiösen Grundhaltung katholische Geistliche nicht verschonen könne, wenn sie gleichzeitig gegen die orthodoxe Kirche vorgehe.
Betreff: Mitteilung des deutschen Botschafters

[Handschriftlich von d’Herbigny:] Consegnato dal Sig. Ambasciatore di Germania 19.XII.30
 
Geheim.
 
Im Lauf des vertraulichen Gesprächs machte ich den Volkskommissar auf die schlimme Lage aufmerksam, in der sich die katholische Geistlichkeit befände; ich hätte ihm erst vor kurzem Mitteilung von der Verhaftung dreier katholischer Geistlicher machen müssen; ich hätte heute einen weiteren Fall zur Sprache zu bringen: der katholische Pfarrer Kappes, der sich bei dem päpstlichen Hilfswerk in Russland in den Jahren 1922/24 in hervorragender Weise betätigt habe und ganz besonders nahe Fühlung zum Vatikan habe, sei ebenfalls verhaftet worden und befinde sich anscheinend in Odessa in schwerer Lebensgefahr. Es sei mir – vom Standpunkt der Sowjetregierung aus gesehen – völlig unverständlich, warum die Sowjetregierung die Geistlichen nicht in religiöser Hinsicht unangetastet lasse. Bei der loyalen und völlig unpolitischen Haltung dieses Bevölkerungsteiles könnten innerpolitische Bedenken doch nicht mitsprechen.
Der Herr Volkskommissar erwiderte, dass er diese Frage ganz vertraulich mit mir besprechen wolle. Ich unterschätze, so meinte er, die innenpolitischen außerordentlichen Schwierigkeiten, die einer Bereinigung dieser Frage entgegenstünden. Es sei sehr schwer in diesen Fragen den Ansichten der Zentrale in den unteren Instanzen Geltung zu verschaffen und diese von den politischen Notwendigkeiten zu überzeugen. Da die Sowjetregierung nun einmal antireligiös eingestellt sei, würden es die unteren Instanzen nicht begreifen, dass man gegen die orthodoxe Kirche und deren Geistliche vorginge, während man in der unmittelbaren Nachbarschaft deutsche katholische Geistliche unbehelligt lasse. Es sei schwer für den durchschnittlichen Sowjetbürger einzusehen, warum der orthodoxe Geistliche ein Staatsfeind sei, der katholische aber nicht.
Ich erwiderte dem Volkskommissar, dass doch auch nicht alle orthodoxen Geistlichen vertrieben worden seien, sondern nur ein beschränkter Prozentsatz. Ausserdem seien die deutschen Siedlungen in sich geschlossen, erstreckten sich z.B. über ganze Landesteile und seien somit von den rein orthodoxen Gemeinden örtlich getrennt. Die Bevölkerung sei es also in gewissem Sinne schon gewöhnt, dass für diese Teile besondere Bestimmungen, wie z.B. allein schon in der Sprache und Schule, massgebend seien.
Ich fuhr sodann fort, dem Volkskommissar auseinanderzusetzen, dass ich es einfach aus aussenpolitischen Gründen nicht verstünde, warum die Sowjetregierung, die doch mit so viel Feindschaft in der Welt zu kämpfen habe – sie fühle sich von einer französischen Intervention bedroht, sie sehe die Antidumpingkampagne als eine politische Blockadebewegung an – sich nun auch die politisch einflussreiche katholische Kirche und die religiöse Bewegung als solche zu Feinden mache. Jetzt, nachdem die zweite Revolutionswelle abgeflaut sei, müsse es für die Sowjetregierung sicher möglich sein, abzublasen und zu besseren Beziehungen zum Vatikan und zu den religiösen Kreisen in Deutschland zu gelangen.
Der Volkskommissar hörte sich auch diese Ausführungen nachdenklich und nicht unbeeindruckt an, aber er wiederholte, dass die zu überwindenden Schwierigkeiten bei der ganzen Struktur und Ideologie des Sowjetstaates ausserodentlich grosse seien.

Empfohlene Zitierweise:
Dokument Nr. 6, in: Konfessionelle Netzwerke der Deutschen in Russland 1922-1941. Quellen-Datenbank. Hrsg. von Katrin Boeckh und Emília Hrabovec. URL: http://www.konnetz.ios-regensburg.de/dokumenteview.php?ID=6, abgerufen am: 21.11.2024.
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