Dokument Nr. 90
Deutscher Caritasverband
Hauptvertretung
Berlin, den 7. September 1934
Päpstliches Hilfswerk für die Russen in Deutschland
An die
Päpstliche Kommission für Russland
R o m – Vatikan
Auf dem Wege über das Aussenministerium erhielten wir beiliegenden Bericht über die Lage der deutschstämmigen katholischen Geistlichen im Wolgagebiet.
Da wir annehmen, dass der Inhalt des Berichtes auch das Interesse der verehrlichen Päpstlichen Kommission finden wird, so erlauben wir uns, denselben zur vertraulichen Kenntnisnahme zu übersenden.
In ehrfurchtsvoller Ergebenheit!
gez. Wienken
Direktor.
1 Anlage.
Abschrift
Die Lage der deutschstämmigen katholischen Geistlichen im Wolgagebiet.
I. Seelenzahl und Gotteshäuser.
Die Seelenzahl der deutsch sprechenden Katholiken im Wolgagebiet wird auf 60 bis 61 Tausend geschätzt. In Saratow sind etwa l000 Seelen.
Seit dem Jahre 1930 sind in der Republik der Wolgadeutschen allein 24 Kirchen geschlossen worden. Zerstört wurden bisher nur die Kirche in Streckerau, eine Kapelle in Engels (früher Pokrowsk) und jetzt die Kirche in Seelmann. Die Kirche in Preuss ist in neuerer Zeit auch weggenommen und in einen Kulturpalast umgewandelt worden. Ähnlich ist es in Marienthal. Die Kirchen und die Geistlichen werden mit Steuern stark belastet. Die katholische Kirche in Saratow, die zugleich Kathedralkirche des Bistums Tiraspol ist, hat für rückständige Steuern noch rund 3400.- Rubel aufzubringen. Der Geistliche ist mit 1500.- Rbl. besteuert worden. Ausserdem ist die Kirche zu Reparaturen aufgefordert worden, deren Kosten amtlich auf 12 400.- Rbl. festgesetzt worden sind. Die Kirche hatte sich bereit erklärt, Reparaturen in Höhe von etwa l000.- Rubel durchzuführen.
II. Geistliche.
Im Wolgagebiet befinden sich zur Zeit folgende deutschstämmige katholische Geistliche:
P. H e r m a n n Johannes in Saratow
P. B r u n g a r d Michael in Hildmann, Kanton Kamenka
P. D i e t r i c h Rafael in Preuss, Kanton Seelmann
P. D e s c h Adam in Astrachan.
Letzterer war verhaftet, befindet sich aber jetzt auf freiem Fuss. Seine Kirche ist geschlossen, er hält zu Hause Gottesdienst.
Diese Geistlichen sind amtlich registriert und daher auch zur Vornahme geistlicher Handlungen befugt.
Ausserdem befinden sich im Wolgagebiet noch:
P. S c h ö n h e i t e r, Clemens, in Hildmann, bei P. Brungardt,
ferner P. B a i e r , Georg in Marxstadt.
Diese beiden sind jedoch nicht registriert.
P. B a d e r , Emmanuel, früher in Louis, Deutsche Wolga-Republik, hat seinen Pfarrbezirk aufgeben müssen. Er war im letzten Jahr verhaftet und sollte für Agentendienste gewonnen werden. Er hat sich jedoch geweigert. Nach seiner Freilassung hat er sich, da ein gedeihliches Arbeiten nicht mehr möglich war, zurückgezogen. Er lebt bei seiner Schwester in der Ukraine.
In Saratow ist auch noch ein polnischer Geistlicher, der vom Roten Kreuz unterstützt wird, und, wie bereits früher bekannt, ein römisch-unierter Geistlicher. Er erhält auch Unterstützung. Den Sowjetbehörden gegenüber hat er bestritten, dass er Geistlicher ist, da die unierten Geistlichen besonderen Verfolgungen ausgesetzt sind.
Den Geistlichen wird bei ihren Fahrten in die Dörfer die Ausübung des Gottesdienstes nicht grundsätzlich verweigert. Mit Rücksicht auf die Feldarbeit wird ihnen aber für den Gottesdienst nur die Zeit bis morgens 7 Uhr und die Mittagspause freigegeben.
Die persönliche Lage der Geistlichen ist nach wie vor sehr schwierig. Aus den Gemeinden beziehen sie so gut wie keine Einnahmen. Es wurde wiederholt nachdrücklich versichert, dass die Geistlichen sich lediglich dank den Unterstützungen durch das Rote Kreuz haben am Leben halten können. Die Unterstützungen sind im Laufe der letzten 1 ½ Jahre von schlechthin entscheidender Bedeutung geworden.
Gegenüber einem Geistlichen hat der Vertreter einer Sowjetbehörde durchblicken lassen, man wisse, dass Rom seine Geistlichen nicht einfach umkommen lassen wolle und ihnen deshalb durch das Rote Kreuz Unterstützungen zukommen lasse. Dagegen habe man auch nichts einzuwenden. Anders sei es mit den Unterstützungen, die auf anderem Wege aus dem Auslande kämen. Damit war offenbar die Sammlung „Brüder in Not“ gemeint.
III. Allgemeine Lebensbedingungen.
Die allgemeinen Lebensbedingungen sind etwas besser als im letzten Jahr. Es wird aber immer noch gehungert und die Bevölkerung befürchtet, da das Getreide nicht gut steht, wieder eine böse Hungerzeit. Sehr gross ist der Viehmangel. In Gemeinden, wo vor 4 Jahren noch etwa 2 bis 3 000 Pferde vorhanden waren, sind jetzt überhaupt keine Pferde mehr zu finden.
IV. Das religiöse Leben
Das religiöse Leben leidet allmählich unter dem unaufhörlichen Druck der Gottlosen-Propaganda und der behördlichen Massnahmen. Der Jugend kann ein gründlicher Religionsunterricht nicht mehr vermittelt werden. Was sie im Elternhaus an religiöser Bildung auf nimmt, hält in der religionslosen oder religionsfeindlichen Umgebung nicht lange stand. Die Aussichten für die Zukunft sind trübe.
Je mehr Kirchen im Wolgagebiet geschlossen werden, umsomehr wird die Kathedralkirche in Saratow der Mittelpunkt des religiösen Lebens. Es wäre ein harter Schlag für die deutschstämmige katholische Kirche, wenn die Sowjetbehörden durch steuerliche Massnahmen die Schliessung der Kirche erreichen würden.
Moskau, den 13. Juli 1934.