Konfessionelle Netzwerke der Deutschen in Russland 1922–1941

Quellen-Datenbank

Dokument Nr. 30

3. Die Administration der evangelischen Kirche

Evangelisches Zentralarchiv (EZA),
5/1128

Datum: 3. September 1925
Verfasser: Russisches Unterstützungswerk der Nationalen Lutherischen Kirche
Empfänger: wohl Evangelischer Kirchenauschuss
Inhalt: Das Russische Unterstützungswerk der Nationalen Lutherischen Kirche berichtet im September 1925 über die verzweifelte Lage der evangelischen Kirche in Sowjetrussland und über die Notwendigkeit, eine Schule zur Ausbildung von Pastoren einzurichten.

Uebersetzung
Russian Relief
Russisches Unterstützungswerk aus
News Bulletin of the Publicity Bureau of the National Lutheran Church, 3. September 1925, News Bulletin Special.
 
Der Zustand der leidenden lutherischen Kirche von Sowjet Russland hat das lutherische Herz der Welt bewegt. Die Erhaltung der hartbedrängten Kräfte der Kirche der Reformation in jenem grossen Lande erfordert unter den gegenwärtigen Bedingungen weiseste Führung mit Gottes Segen. Man wird sich erinnern, dass unser Executiv Comittee auf dem Göteburger Treffen Zusammenfassung der Unterstützungsbemühungen der lutherischen Kräfte der Welt anempfahl, um den Glaubensbrüdern in Russland zu helfen. Berichte über Fortschritte, welche in den verschiedenen Ländern in diesem Werke christlicher Liebe gemacht worden sind, werden auf dem November Treffen entgegengenommen und Massnahmen für weitere wirksame Hilfe erwogen werden. Die Anteilnahme der Kirche wird ernstlich für das Executiv Committee in seinen Entschliessungen gefordert.
Dem russischen Volke war es bestimmt, den grossen Krieg, eine Folge von politischen Revolutionen mit Bürgerkrieg, Hungersnot und einen Umsturz der sozialen und wirtschaftlichen Ordnung zu durchleben. Die folgende augenblickliche Verwirrung, Machtlosigkeit und Not ist zu gross, als dass sie eine Feder beschreiben könnte. In dieser Zeit von Sturm und Not wurde plötzlich die Trennung von Staat und Kirche angeordnet. Die alte Organisation der Kirche und ihre Hilfsmittel waren mit einem Schlage zerstört. Dann kam die politische Partei, welche für eine systematische antireligiöse Propaganda eintrat, an die Regierung. Wann hat in den vergangenen Jahrhunderten eine Sekte der Lutherischen Kirche grössere Prüfungen erleiden müssen? Aber das Blut der Märtyrer ist die Saat der Kirche.
Und doch finden sich schon jetzt Anzeichen für das Herausdämmern eines neuen Tages. Eine allgemeine lutherische Synode ist im Juni 1924 abgehalten worden, als die Kirche reorganisiert war. Die Sowjet-Regierung hat die Erlaubnis zur Errichtung einer Lutherischen Heranbildungsschule in Leningrad für Pastoren gegeben. Eine bischöfliche Visitation der Kirchen ist ohne Dazwischentreten von Zivilbehörden möglich geworden. Treue und heldenhafte Zeugen des evangelischen Glaubens sind in die Lage versetzt, alle Härten zu erdulden und für den Dienst der Kirche weiterhin zu leben.
Aber wie kann ein kürzlich organisierte Kirche ohne sichtbare Hilfsmittel, nach der Erschöpfung der letzten Prüfungen und deren Anhänger vermindert und über ein Land zerstreut sind, das dreimal so gross ist wie die Vereinigten Staaten von Nordamerika, die grossen Probleme der nahen Zukunft lösen? Briefe von Sibirien und Südrussland erzählen eine schreckliche Geschichte von moralischer Degeneration, physischer Not und geistiger Zerrüttung. Mehr als zwei Drittel der Pastorate sind unbesetzt, nur 79 ordinierte Pastoren verbleiben, um eine lutherische Bevölkerung von nahezu 2 500 000 zu versorgen. Das „unheilbar religiöse“ Volk verlassen wie Schafe ohne einen Hirten, lieh sektiererischen Stimmen falscher Propheten sein Ohr, die immer in der Zeit der Not erscheinen, um die Kampfesmüden vom Wege abzuführen. Aber wenn die Bischöfe lange unbesetzte Pastorate besuchen können, so strömt das Volk zum Gottesdienst in die Kirchen, die Jugend wird unterrichtet und konfirmiert, das Abendmahl wird gereicht und die Seelsorge ist willkommen.
„Wie sollen sie ohne Prediger hören?“ Der Obmann des Committees, welcher mit dem Ausbau der neuen lutherischen Heranbildungsschule für Pastoren in Leningrad beauftragt ist, schreibt unter dem 10. August: „Wenn die Frage aufgeworfen wird, warum nach allem die Heranbildungsschule für Pastoren nötig ist, so ist meine Antwort, dass wir wirklich Zeit und Gelegenheit genug gehabt haben, diese Sache ganz zu durchdenken; achteinhalb Jahre hat der betrübende Zustand der Zerstörung und Verwirrung angehalten. Und je länger die gegenwärtigen Umstände dauern, je klarer und gewisser wissen wir, dass Verfassungen und Organisationen, Synode und Besuche von geringer wirklicher Hilfe sind ohne Menschen; Menschen treu im Glauben und durchaus auf dem Worte Gottes fussend, die die Gemeinden erleuchten und führen; Menschen, die in heiligem Eiger bereit sind, ihr Leben auf den Altar der Arbeit im Weingarten des Herrn zu legen. Solche Menschen brauchen wir; und wir müssen sie trotz aller Mühen heranbilden und ausrüsten, sonst werden sie sich in solch stürmischer Zeit trotz der besten Beweggründe untauglich als Führer der Gemeinden erweisen. Wir sind gezwungen, solche Menschen uns selbst zu erziehen, denn die theologischen Seminare fremder Länder sind uns verschlossen. Darüber hinaus müssen wir so bald wie möglich eine Hilfe für unsere Pastoren vorbereiten, denn die Sekten brechen schon in unsere Gemeinden, die ohne Hirten sind, und fangen Seelen.
„Unsere erziehende Anstalt wird auf guter lutherischer Grundlage der Konfessionen errichtet werden. Gemäss der Vorschriften der Generalsynode soll das Wort der Heiligen Schriften und die Lehren Luthers die Norm und Regel des Glaubens und Lebens sein bei der Heranbildung unserer Studenten zum geistlichen Dienst.
„Wir hoffen und planen, unser Werk am 15. September beginnen zu können. Aber so grosse Summen sind notwendig! Wir haben gerade heute eine Gabe von $ 3 000.-- durch  das Exekutiv Komitee der Lutherischen Welt Konvention erhalten. Lieber Freund und Bruder, nimm unseren aufrichtigsten Dank für diese rechtzeitige Gabe entgegen. Wir können nun Gott danken und ermutigt vorwärts schreiten.“
Aber wie sollen die Lehrer und die dreissig oder mehr Studenten ernährt, gekleidet, im Winter gewärmt und mit Büchern versehen werden?
Wie sollen die Witwen, Waisen, Alten, Kranken und die anderen Bedürftigen in den Gemeinden der Kirche durch ganz Russland in des Herrn Namen versorgt werden?
Diese Probleme erfordern seitens Russland die sofortige Anrufung der grossen lutherischen Kräfte der Welt.

Empfohlene Zitierweise:
Dokument Nr. 30, in: Konfessionelle Netzwerke der Deutschen in Russland 1922-1941. Quellen-Datenbank. Hrsg. von Katrin Boeckh und Emília Hrabovec. URL: http://www.konnetz.ios-regensburg.de/dokumenteview.php?ID=30, abgerufen am: 06.12.2024.
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