Dokument Nr. 12
Auswärtiges Amt
Abschrift
Deutscher Botschafter
Moskau, den 21. April 1931
Lieber Meyer!
Im Anschluss an meinen letzten Brief über die Lage der evangelischen und katholischen Geistlichen möchte ich Ihnen noch Folgendes mitteilen, was sich seitdem ereignet hat:
Ich habe gestern Litwinow die ergänzte und erweiterte Liste der evangelischen und katholischen Geistlichen übergeben, die alles über den Aufenthaltsort der betreffenden Geistlichen enthält, was wir inzwischen haben ermitteln können. Für weitere Einzelheiten wären wir, wie ich Ihnen schon schrieb, aber doch sehr dankbar.
Bei dieser Gelegenheit kam Litwinow auf den Vorschlag der Sowjetregierung zurück, daß sie diejenigen Geistlichen, die deutsche Staatsangehörige werden wollten, aus der Sowjetunion herauslassen wolle. Er fragte, hinsichtlich welcher Geistlicher wir den Wunsch hätten, daß sie auf diese Weise nach Deutschland kämen.
Damit werden wir nun vor die Entscheidung einer sehr wichtigen prinzipiellen Frage gestellt. Einerseits haben wir ja nur das grösste Interesse daran, daß kein einziger Geistlicher die Sowjetunion verläßt, weil er mehr oder weniger unersetzlich ist – trotz des noch mühselig weiterarbeitenden Evangelischen Priesterseminars in Leningrad –; jede Abreise nach Deutschland führt also eine weitere empfindliche Schwächung der Lage der hiesigen Kirche herbei. Andererseits aber ist für manche Geistliche, insbesondere evangelische, die Lage so schwierig geworden – teils durch Verhaftung, teils wegen Gesundheitsschädigung, teils wegen der Unmöglichkeit, ihr Amt auszuüben, teils im Hinblick auf die Erziehung ihrer Kinder –, daß ihr Weiterverbleiben auch keinen großen Nutzen bringen und nicht im Verhältnis stehen würde mit dem auferlegten Opfer. Wir haben also hinsichtlich einiger Geistlicher bereits die erforderlichen Schritte zur Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit und zu ihrer Entlassung aus der Sowjetstaatsangehörigkeit getan. Wenn das Auswärtige Amt keine prinzipiellen Bedenken in dieser Richtung hat, werden wir weiter so fortfahren und im Benehmen mit den hiesigen kirchlichen Stellen jeden Einzelfall nach bestem Gewissen prüfen und entscheiden.
Hinsichtlich der katholischen Geistlichen liegen die Dinge etwas anders. Einerseits fällt die Rücksicht auf die Familie fort, andererseits liegen von den katholischen Geistlichen, mit denen die Botschaft überhaupt sehr viel weniger Verbindung hat als mit den evangelischen, keine Gesuche um Verleihung der deutschen Staatsangehörigkeit vor.
Wahrscheinlich – dies ist auch die Ansicht des Legationssekretärs Pfeiffer – ist irgendwie seitens der geistlichen Vorgesetzten die Losung ausgegeben worden, auf dem Posten hier auszuharren. Es fehlt uns somit die Möglichkeit, dasselbe Verfahren, wie bei den evangelischen Geistlichen, anzuwenden.
Ich wollte Sie nur bitten, diese Frage mit den zuständigen Stellen zu besprechen und mir dann Nachricht zukommen zu lassen, wie ich in dieser Frage vorgehen soll; ich kann mir an sich sehr gut denken, daß auch bei katholischen Geistlichen im Einzelfalle Gründe mitsprechen – insbesondere Krankheit –, die es geboten erscheinen lassen, von der jetzt sich bietenden Gelegenheit einer Rückkehr nach Deutschland Gebrauch zu machen.
Mit den besten Grüssen
wie stets Ihr
Dirksen.