Konfessionelle Netzwerke der Deutschen in Russland 1922–1941

Quellen-Datenbank

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Dokument Nr. 2

1. Die russlanddeutschen Geistlichen in der internationalen Diplomatie

Politisches Archiv des Auswärtigen Amts (PA AA),
Botschaft Moskau 190

Datum: 31. März 1923
Verfasser: Hencke, Deutsche Botschaft Moskau
Empfänger: Auswärtiges Amt
Inhalt: Karl Radek (seit 1923 Mitglied im Exekutivkomitee der Komintern) schlägt der Deutschen Botschaft über einen Unterhändler vor, den zum Tod verurteilten Budkiewicz gegen einen in Deutschland inhaftierten Kommunisten, Max Hölz, auszutauschen.

Aufzeichnung.
Am 30. März 1923 gegen 7 Uhr abends erschien auf der Botschaft der Korrespondent der „United Press of America“, Herr Graudenz, und bat, den Herrn Botschafter in einer dringenden Angelegenheit sprechen zu dürfen.
Noch bevor ich ihm mitteilte, dass ein Empfang durch Seine Exzellenz heute nicht möglich sei, erzählte mir Herr Graudenz, dass das gegen den Prälaten Butkiewitsch [Budkiewicz] verhängte Todesurteil in der Nacht vom 30. zum 31. März vollstreckt werden sollte. Es gebe indes noch eine Möglichkeit, den Verurteilten zu retten, diese läge allein in der Hand des Herrn Botschafters. Er habe „direkten Auftrag“ von Radek, Seine Exzellenz zu fragen, ob er bereit sei, in einen Austausch von Max Hölz gegen Butkewitsch einzuwilligen. Eine entsprechende Erklärung Seiner Exzellenz müsse er bis spätestens 8 Uhr abends Herrn Radek übermitteln.
Unter ausdrücklicher Betonung, dass ich nicht befugt sei, im Namen des Herrn Botschafters zu sprechen, sondern lediglich meiner persönlichen Ansicht Ausdruck geben zu können, erklärte ich Herrn Graudenz etwa folgendes:
Ich hielte es für unwahrscheinlich, dass sich der Herr Botschafter dazu bereit finden würde, für einen Austausch Butkiewitschs gegen Max Hölz irgendwelche Schritte zu unternehmen. Nach meiner Ansicht bestünden dagegen auch wesentliche politische Bedenken. Das deutsche Volk würde es nicht verstehen können, wenn einem so gefährlichen und entschlossenen gemeinen Verbrecher, wie es Max Hölz ist, durch seine Freilassung Gelegenheit gegeben sein würde - es in Deutschland oder im Auslande - die kommunistische Revolution bei uns vorzubereiten, nur um einen polnischen also letzten Endes deutschfeindlichen Priester, der objektiv betrachtet, gerechterweise zum Tode verurteilt worden ist, das Leben zu retten.
Herr Graudenz erwiderte, es sei doch schrecklich, dass heute Nacht ein Mensch hingerichtet würde, der noch gerettet werden könne. Die von ihm erwünschte Intervention des Herrn Botschafters würde eine Geste bedeuten, die die ganze Welt, besonders Amerika, den grössten Eindruck machen würde. Er fügte hinzu, wie sehr er bedauere, dass der Reichskanzler a. D. Wirth nicht mehr an der Spitze der Regierung stehe. Er hätte sich sonst auf Grund naher persönlicher Bekanntschaft unmittelbar telegraphisch an ihn gewandt.
Ich antworte in dem Sinne, dass ich das Wohl Deutschlands für wichtiger hielte, als das Leben eines katholischen, des Hochverrats schuldigen polnischen Priesters und dass es wohl mehr bedeute, als eine schöne Geste dem Auslande, von der man durchaus nicht sicher sei, dass sie nicht missverstanden würde.
Herr Graudenz, der während der Unterredung auf mich einen hochgradig nervösen, bisweilen sogar geradezu hysterischen Eindruck machte, verliess sichtlich unbefriedigt die Botschaft.
 
Moskau, den 31. März 1923
 
gez. Hencke
 
Hiermit seiner Exzellenz dem Herrn Botschafter gehorsamst vorgelegt.
Hencke
 

Empfohlene Zitierweise:
Dokument Nr. 2, in: Konfessionelle Netzwerke der Deutschen in Russland 1922-1941. Quellen-Datenbank. Hrsg. von Katrin Boeckh und Emília Hrabovec. URL: http://www.konnetz.ios-regensburg.de/dokumenteview.php?ID=2, abgerufen am: 28.03.2024.
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